Stupid Crazy Love Story

los? Macht sie etwa doch einen Rückzieher? Ich muss mich zurückhalten, nicht zur Bühne zu rennen und sie da runterzuholen. Das wäre keine gute Idee, sie würde es nicht wollen und es würde auch nichts besser machen. Ich kann jetzt nur hoffen, dass sie sich zusammenreißt und weiterredet. Ich atme schwer, so als ob ich dort oben auf der Bühne neben ihr stehen würde. Ich weiß, dass sie es kann. Denk nach, denk nach, flehe ich sie an, obwohl sie gar nicht in meine Richtung schaut. Du weißt doch, was du sagen willst, Kylie. Gib jetzt nicht auf.
    Die Leute werden ungeduldig. Jemand hat aus dem Programmzettel einen Papierflieger gebastelt und ihn auf die Bühne geworfen. Er landet vor Kylies Füßen.
    Â»Warum redet sie nicht weiter?«, fragt Carl.
    Â»Vielleicht ist ihr wieder eingefallen, was für ein Loser sie ist und dass es eh niemanden interessiert, was sie zu sagen hat«, antwortet Jessica.
    Carl und Jessica stoßen die Fäuste gegeneinander. Ich merke, wie ich rot anlaufe.
    Â»Haltet die Klappe«, sage ich. »Kylie ist alles andere als ein Loser. Sie ist verdammt cool. Also redet nicht so einen Müll.«
    Die beiden sehen mich an, als wären mir gerade Hörner gewachsen. Na ja, vielleicht ist es ja auch so. Ich habe keine Ahnung, warum mir dieses Mädel so verdammt wichtig ist. Leider sieht es nur nicht so aus, als würde es auf Gegenseitigkeit beruhen.
    Â»Was interessiert es dich, was wir über die kauzige Kylie sagen?«, fragt mich Carl.
    Â»Ist halt so. Also halt einfach die Klappe. Im Übrigen ist sie auch nicht kauzig.«
    Â»Okay«, sagt Carl leicht verwundert. Aber er hält wenigstens endlich den Mund und sieht wieder nach vorne.
    Alvarez scheint langsam panisch zu werden. Er fragt sich bestimmt, wie ihm das bloß passieren konnte. Kylie Flores war doch seine perfekte Abschlussrednerin. Wer hätte denn ahnen können, dass sie ausgerechnet jetzt durchdreht? Alvarez steht auf und geht über die Bühne. Wird er Kylie etwa da runterzerren? Doch kurz bevor er sie erreicht, beugt sie sich wieder vor zum Mikrofon.
    Â»Ich habe die letzten sechs Jahre auf der Freiburg unglaublich hart gearbeitet. Und ich war gut in der Schule. Sehr gut sogar. Besser als ihr alle. Ich meine, ich stehe jetzt hier oben, also muss ich wohl irgendetwas richtig gemacht haben. Ich habe auf jeden Fall alles getan, was von mir erwartet wurde. Und noch mehr. Ich habe immer nur Einsen geschrieben und ein Vollstipendium für eine Elite-Uni bekommen. Aber dafür habe ich die ganze Schulzeit in der Bibliothek verbracht und mit niemandem geredet. Ich weiß nicht, ob das tatsächlich der beste Weg war. Wenn man alles immer bis ins kleinste Detail plant, bleibt kein Platz mehr für Spontaneität. Keine Zeit mehr für Lebendigkeit. Und das Leben ist doch etwas, was wir erfahren und wirklich erleben müssen. Wir können es nicht studieren, indem wir in der Bibliothek Bücher darüber wälzen. Lernen bedeutet so vieles mehr als das, was uns die Schule vermittelt. Und wenn wir zu sehr damit beschäftigt sind, für die Schule zu pauken, verpassen wir die wirklich wichtigen Erfahrungen im echten Leben. Ich habe gerade erst realisiert, dass ich in den sechs Jahren eine Menge verpasst habe. Und dass es so nicht weitergehen kann!«
    Kylie sammelt sich. Und ich fühle mich wirklich erleichtert. Sie wird sich auch den Rest ihrer Rede spontan einfallen lassen. Alvarez steht nervös neben ihr. Erwill es anscheinend nicht noch einmal darauf ankommen lassen.
    Â»In den letzten vierundzwanzig Stunden habe ich mehr über mich und meine Fähigkeiten gelernt als in all den Jahren auf der Freiburg. Entschuldigung, Direktor Alvarez.«
    Sie wirft ihm einen Blick zu. Alvarez sieht aus, als würde er jeden Moment explodieren. Das ist nicht die Art von Rede, die sich ein Schuldirektor wünscht. Das ist vielmehr die Art von Rede, für die Schuldirektoren gefeuert werden.
    Â»Wie gesagt, ich habe keine Ratschläge für euch. Aber ich habe ein paar Anregungen. Keine Ahnung zu haben, was als Nächstes passiert, ist manchmal der richtige Weg. Denn das Leben passiert einfach, und wenn das Leben passiert, kann euch die Art, wie ihr damit umgeht, mehr über euch selbst verraten als jede Klassenarbeit oder Prüfung. Die beste Vorbereitung auf das Leben ist vielleicht überhaupt keine Vorbereitung. Springt direkt hinein. Macht Fehler.