Sturm der Herzen
die Bedeutung dessen, was er getan hatte, ihn mit voller Wucht traf.
Mit schwacher Stimme fragte Marcus: »Äh, wer sind eigentlich die Freunde, die Whitley besucht?« Er schluckte und fuhr bestimmter fort: »Was dabei herauskommt, hängt davon ab, wer sie sind und welches Ansehen sie in der Gegend besitzen - und wie wahrscheinlich es ist, dass man ihm glaubt.«
Isabel zögerte, dann erklärte sie: »Er wohnt im Stag Horn Inn.«
Marcus runzelte die Stirn. »Ich dachte, du habest gesagt, er besuche Freunde?«
Sie schaute ihn an. »Es schien mir zu dem Zeitpunkt die einfachste Erklärung zu sein. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du vorhattest, uns für verlobt zu erklären.«
Marcus ignorierte den letzten Teil ihrer Äußerung und fragte voller Hoffnung: »Also kennt er eigentlich niemanden in der Gegend?«
»Nein. Aber bevor du dir zu große Hoffnungen machst, lass dich daran erinnern, dass Keatings jüngster Sohn Sam Edmunds bester Freund ist und der älteste Sohn Will einer der Lakaien meines Onkels auf Denham Manor. Vergiss nicht, Keatings Frau ist die Busenfreundin von Lord Carvers Köchin. Wenn jemand von den Keatings von der Verlobung hören sollte …«
Ihre Worte dämpften seine Erleichterung, die er sich nach der Information gestattet hatte, dass Whitley hier ein Fremder war. Marcus kannte Keating bestens, den geschwätzigen Wirt des Stag Horn Inn, und seine Klatsch liebende Ehefrau. Wenn sie durch Whitley von der Verlobung erfuhren … Er schloss gequält die Augen.
Isabel beobachtete ihn scharf und lächelte boshaft. »Genau. Alles, was Whitley tun muss, ist Keating gegenüber ein Wort über die Sache fallen zu lassen, und die Katze ist aus dem Sack.«
Marcus öffnete seine Augen wieder, erschauerte und nickte. »Und natürlich wird Whitley, da er nun einmal von Natur aus neugierig ist, Erkundigungen einziehen oder wenigstens die Verlobung erwähnen. Während wir hier noch sprechen, verbreitet sich die Nachricht vermutlich schon über die Dienstboten.«
»Dann ist es nur eine Sachen von Stunden, ehe es von den Dienstbotenquartieren in die Räume des Hausherrn und seiner Gemahlin dringen wird«, fügte Isabel müde hinzu.
Sie schauten einander trostlos an. Isabel senkte als Erste den Blick. Sie war wütend auf ihn, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr Herz einen Satz machte und ihr Puls sich beschleunigte, wann immer ihre Blicke sich trafen. Obwohl sie ernstlich wütend auf ihn war, konnte sie nicht leugnen, dass er immer noch der am besten aussehende Mann war, den sie je zu Gesicht bekommen hatte. Ebenso wenig konnte sie so tun, als sei sie nicht - wenigstens anfänglich - dankbar für sein Einschreiten gewesen. Diesen ersten Sekundenbruchteil nach seiner überraschenden Erklärung hatte sie sich gestattet, sich sicher und beschützt zu fühlen - Gefühle, die sie schon sehr lange nicht mehr verspürt hatte.
Unter gesenkten Lidern betrachtete sie das vertraute, teure Gesicht, und ihr schmerzte das Herz, während sie sich fragte, warum sie seine Vormundschaft eigentlich so schlimm gefunden hatte. Jetzt konnte sie sich eingestehen, dass Marcus nie anders als gerecht und freundlich ihr gegenüber gewesen war, aber sie war damals zu sehr von sich eingenommen gewesen, zu stur und zu jung, um das zu begreifen. In jenen längst vergangenen Tagen hatte er nur etwas vorschlagen müssen, und sogleich hatte sie genau das Gegenteil gewollt. Zu jeder Gelegenheit hatte sie gegen ihn rebelliert und sich ihm widersetzt, ihn mit Verachtung und Wut überhäuft, ihn beleidigt. Es war wahrlich kein Wunder, dass er sie in dem Jahrzehnt seit ihrer Rückkehr nach England wie eine ansteckende Krankheit gemieden hatte. Sie hatte ihm mehr als genug Grund dafür gegeben, überlegte sie voller Bedauern. Und nun …
Marcus’ Worte unterbrachen ihre Gedanken. »Es tut mir leid«, sagte er behutsam. »Ich wollte dir nur helfen, keine neuen Schwierigkeiten für dich heraufbeschwören.«
»Schwierigkeiten?«, fragte Isabel, hin- und hergerissen zwischen Wut und Tränen. Begriff der Mann eigentlich gar nichts? Was auch immer seine Beweggründe gewesen waren, er hatte ihr Leben völlig auf den Kopf gestellt. »Eine Schwierigkeit«, erklärte sie kurz angebunden, »ist, zwei verschiedene Einladungen zum Dinner angenommen zu haben! Nicht eine Ehe mit einer Frau zu beginnen, die du verabscheust.«
»Ich verabscheue dich gar nicht«, wandte Marcus sogleich ein. »Du kannst eine echte kleine Teufelin sein, wenn du willst,
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