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Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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Fieberkrämpfen wanden und zuckten und entsetzliche, kehlige Laute ausstießen. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas Derartiges gehört, geschweige denn gesehen. Doch da war noch ein Geräusch … ein Summen, das ihm irgendwie bekannt vorkam, auch wenn er es nicht sofort zuordnen konnte. Es schien aus allen Richtungen gleichzeitig zu kommen. Die Decke über ihm war leicht geneigt, als würde sie bald einstürzen, und überzogen von einem schwarzen Schatten, in dem es rumorte wie unter der Oberfläche eines fauligen Tümpels.
    Die Hände, die seine Fußgelenke gepackt hielten, verstärkten ihren Griff, dann wurde er auf einen der Tische gezogen. Jetzt konnte Richard zum ersten Mal die Gesichter der beiden Kreaturen sehen: Das eine war praktisch ein nackter Totenschädel, nur eine dünne, pergamentartige Haut spannte sich über die kantigen Knochen, und das andere war vollkommen glatt, schimmernd wie eine Perle. Selbst die Augen darin waren vollkommen weiß. Allein die Tatsache, dass sie existierten, schien ihm wie ein Verbrechen gegen die Natur. Richard zitterte am ganzen Körper. Als sie schließlich mit Gewalt seine zu Fäusten geballten Hände öffneten und sie mit zwei dicken Kupfernägeln auf dem Tisch fixierten, um kurz darauf dasselbe mit seinen Füßen zu machen, konnte er den Anblick nicht mehr ertragen. Er war dankbar, dass er kein Gefühl mehr in seinen Gliedmaßen hatte, doch hätte er viel lieber die Schmerzen ertragen, als mit ansehen zu müssen, was mit ihm geschehen würde.
    Auf dem Tisch neben ihm riss und zerrte eine Kreatur, wie er sie sich in seinen schlimmsten Albträumen nicht hätte vorstellen können, an den kupfernen Spießen in ihren Händen und Füßen. Als er sie sah, brach endlich der lange zurückgehaltene Schrei aus seiner Brust, wurde aber schon in der nächsten Sekunde von einem hohen Summen übertönt. Decke und Wände erwachten zum Leben, ein Schwarm Moskitos hüllte ihn ein wie dichter Rauch und stürzte sich auf ihn, noch bevor er seinen Mund wieder schließen konnte. Er spürte winzige Beine, die über seine Augäpfel krabbelten, und presste seine Lider mit aller Kraft zusammen, doch das war auch schon alles, was er tun konnte. Wild schüttelte er seinen Kopf, während sie seinen ganzen Körper bedeckten, in seine Ohren und Nase krochen.
    Wie Millionen Nadeln bohrten ihre Stacheln sich in seine Haut, und Richard schrie, bis der Klang seiner Stimme, begleitet von der Erinnerung an das Monster auf dem Tisch neben ihm, ihn hinübertrug in eine immerwährende Dunkelheit.
    Und der Erkenntnis, zu was er werden würde.

LXXIV
     
    MORMON TEARS
     
    Jill ließ sich durch die Dachluke eines der oberen Räume des Pueblos fallen. Dann setzte sie sich mit überkreuzten Beinen vor das Skelett, wie sie es schon einmal getan hatte, hob den heruntergefallen Schädel auf und steckte ihn, so gut es ging, wieder auf die Wirbelsäule. Schließlich nahm sie einen tiefen Atemzug, ergriff die knöchernen Hände und blickte in die leeren Augenhöhlen der toten Frau.
    »Danke«, sagte sie mit einem traurigen Lächeln. »Wir haben dir viel zu verdanken. Eigentlich alles.«
    Zwei dunkle Höhlen starrten sie durch die Jahrhunderte hindurch an.
    »Nun ja …«, sagte Jill mit einem verlegenen Lächeln. Sie wusste nicht recht, was sie jetzt tun oder sagen sollte. Sie wusste nur, dass das Volk dieser Frau, die edlen Gosiute, sich vor vielen Jahrhunderten dem Sturm geopfert hatte, damit Jill und ihre Freunde eine Chance hatten, in der Schlacht zu bestehen. Ohne sich von den Konsequenzen, die es für ihr eigenes Leben bedeutete, abhalten zu lassen, hatten sie ihre Seelen dem Gott dieses Sturmes dargebracht, damit ihre Rasse auch in ferner Zukunft weiterbestehen konnte. Sie hatten den Visionen der toten Frau Glauben geschenkt, für ihre fernen Nachfahren diese unterirdische Behausung erbaut, und dann waren sie hinausgegangen in den furchtbaren Schneesturm, in ihren sicheren Tod.
    Und das alles für sie.
    Jill fand keine Worte, mit denen sie die Dankbarkeit hätte ausdrücken können, die sie wegen dieser unfassbaren, nur aufgrund der Visionen eines Mädchens, das kaum älter gewesen war als sie selbst, geleisteten Aufopferung gegenüber den Gosiute empfand. Allein die Vorstellung, dass eine Gruppe von Menschen sich vor einer so langen Zeit derart um das Überleben zukünftiger Generationen bemüht hatte, verschlug ihr den Atem.
    »Versteh mich nicht falsch«, sagte Jill mit gerunzelter Stirn. »Wir sind euch

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