Sturm der Seelen: Roman
den Vorfall. Alle machten sich Sorgen, aber Phoenix schien es förmlich aufzufressen. Er hatte ihnen allen das Leben gerettet. Sie waren nicht darauf vorbereitet gewesen, sich im Inneren dieser Höhle auch nur gegen eines dieser Monster zu verteidigen, und wahrscheinlich wären sie alle hingeschlachtet worden, wenn Phoenix nicht eingegriffen hätte. Alle hatten sie leichte Verbrennungen im Gesicht und an den Stellen, wo ihre Haut ungeschützt gewesen war, und ihre Kleidung war versengt.
Aber sie waren am Leben.
So viele hatten ihr Leben gelassen, Freunde, mit denen sie zusammen gewesen waren, seit sie hier in Mormon Tears angekommen waren, aber ihr Opfer sollte nicht umsonst gewesen sein. Es war nun an ihnen, nicht nur auszuharren, sondern das Geschenk zu würdigen und zu feiern, das ihnen zuteilgeworden war. Das Geschenk des Lebens, einer neuen Zukunft.
Hoffnung.
Wortlos stellte sich Evelyn neben Adam, legte ihre Hände auf den Griff des Rammbocks und wartete, bis auch Adam so weit war. Zusammen zogen sie das Gefährt zurück auf das Felssims, und ein Schwall kalter Luft schlug ihnen ins Gesicht. Das einzige Geräusch, das sie hörten, war das Pfeifen des Windes im Tunnel, der einzige Geruch, den sie wahrnahmen, der der Verwesung, den die Brise heranwehte.
Adam nahm Evelyns Hand und schaute ihr in die Augen, in denen dieselbe Erleichterung gepaart mit Angst geschrieben stand. Dann drehte er sich in Richtung des Tunnels, und gemeinsam gingen sie hinein, während die anderen ihnen nervös nachblickten und warteten. Mit einem Nicken wagten schließlich auch sie den ersten Schritt hinaus ins Unbekannte, durchwateten die tiefen Schatten, bis das erste Licht der Außenwelt die Dunkelheit teilte, begleitet von dem Geräusch von wiehernden und kauenden Pferden.
Immer noch wehte der Wind Schneeflocken in den Eingang der Höhle, doch blies er bei weitem nicht mehr so stark, und auch die Flocken waren kleiner und nicht mehr so zahlreich. Über den gesamten Strand lagen Leichen verteilt, der Gestank war überwältigend, doch wenn die geflügelten Amphibienpferde so weitermachten, würde sich das bald ändern. Auf ihren langen, dünnen Beinen staksten sie von einem Pfahl zum nächsten und rissen zuerst mit ihren Mäulern die daran herabhängenden Hautfetzen weg, um sich dann an dem freigelegten Fleisch gütlich zu tun. Die Überlebenden, die gerade aus dem Berg heraus ins Freie traten, beachteten sie gar nicht.
Evelyn betrachtete ihre beiden Seetangaufzuchtstationen. Die Rohre waren teilweise aus ihrer Verankerung gerissen oder zerstört, die Pflanzen selbst zertrampelt, aber es handelte sich um eine widerstandsfähige Art, und die Rohre konnten sie reparieren oder ersetzen. Sie lehnte sich an Adams Schulter und drückte sanft seine Hand, während sie über den See in Richtung Osten blickte, wo die aufgehende Sonne die dunklen Wolken in ein warmes Rosa tauchte. Vereinzelt brachen sogar – zum ersten Mal seit einer schieren Ewigkeit – ein paar goldene Lichtstrahlen durch die langsam dünner werdende schwarze Wolkendecke und ließen die Schaumkronen der Wellenkämme auf dem fast bis zu der Felseninsel aufgetauten See in hellem Weiß erstrahlen. Dazwischen trieben ein paar Schollen wie Eisberge im arktischen Meer.
So standen sie alle Seite an Seite unter dem steinernen Torbogen und schauten hinaus in eine Welt, die sie für den Rest ihres Lebens mit vollkommen neuen Augen betrachten würden. Der Schrecken war immer noch irgendwo da draußen, aber für den Moment gaben sie sich voll und ganz dem Versprechen hin, dass eine Zukunft wieder möglich war, und genossen die wohltuende Wärme der himmlischen Sonnenstrahlen auf ihren Gesichtern und in ihren Herzen.
»Und was tun wir jetzt?«, fragte Mare, der seine Arme um Jill geschlungen hatte und sie an sich drückte.
»Wir fangen nochmal ganz von vorne an«, sagte Adam. »Und wir werden die Erinnerung derer in Ehren halten, die gestorben sind, damit wir überleben konnten, indem wir die unschätzbaren Möglichkeiten, die sie uns durch ihr Opfer eröffnet haben, in vollen Zügen ausschöpfen.«
»Ist es vorbei?«, fragte Ray und wünschte, er könnte die Quelle der Wärme sehen, die er auf seinen Wangen spürte, und die Wellen, die irgendwo draußen auf dem See gegen die Reste des Eises klatschten.
»Nein«, sagte Jake, der sich an einer von Phoenix’ Händen festhielt, während Missy Phoenix’ andere Hand in der ihren hielt. Man konnte sehen, dass Phoenix sich verändert
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