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Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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zu erkennen in der Dunkelheit, und wäre da nicht dieses eigenartige Leuchten seiner Augen gewesen, hätte Richard ihn vermutlich gar nicht bemerkt. Die Dunkelheit und die Kälte, die seinen Körper umfingen, schienen von dieser Gestalt auszugehen. Richard verspürte eine derartige Angst, dass er sich nichts mehr wünschte, als zu sterben, doch tief in seinem Inneren ahnte er bereits, dass selbst die Erfüllung seines Wunsches ihn nicht vor dieser schrecklichen Gestalt retten würde.
    Warum hatten sie ihn so weit mitgeschleift, um ihn dann am Fuß dieses Turms einfach liegen zu lassen? Die anderen im Hotel waren mittlerweile mit Sicherheit tot. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sie sich alle irgendwo im Inneren dieses finsteren Turms befinden würden. Was konnten sie nur von ihm wollen, dass sie sich die Mühe gemacht hatten, ihn hierherzubringen? Warum brachten sie es nicht endlich hinter sich und töteten ihn einfach?
    Richard hörte Geräusche. Zwei Gestalten kamen über Eis und geschmolzenes Glas auf ihn zu, ihre Schritte so leicht, als schwebten sie. Kleine, kalte Hände ergriffen das eine Fußgelenk, etwas kräftigere das andere. Die Berührung reizte seine freiliegenden Nervenenden, ein Schmerzimpuls schoss seine Wirbelsäule hinauf und brach als Schrei aus seiner Kehle heraus. Und wieder wurde er über den scharfkantigen Boden geschleift, während er mit blinzelnden Augen versuchte, etwas zu erkennen. Der Turm wurde immer größer, bis er schließlich den ganzen Himmel verdeckte. Dann wurde Richard in die dunkle Lobby gezogen, vorbei an dem geborstenen Rezeptionstisch und umgestürzten Pflanzen, die in einem Haufen Erde lagen, der einmal der Nährboden für ihre jetzt nackten Wurzeln gewesen war. Sein letzter Gedanke, bevor sie ihn hinunter in die absolute Finsternis schleiften, war, dass die Lobby aussah, als hätte ein Hurrikan in ihr gewütet. Er hörte, wie Glasscherben unter ihm knirschten, der künstliche Wasserfall zu seiner Linken war nur noch ein überfrorener Haufen Schutt, die Türen des Aufzugs hingen schief in den Angeln, und von den verspiegelten Wänden waren nur noch funkelnde kleine Splitter übrig.
    Ein fauliger Gestank stieg ihm in die Nase und wurde mit jedem Atemzug stärker. Er erinnerte ihn an den Geruch, der ihm als Kind einmal von dem mit Fliegen übersäten Kadaver eines der Tiere seines Großvaters entgegengeschlagen war. Er roch rohes Fleisch, das sich mitsamt der Haut vom Knochen löst, während etwas sich von innen durch das verrottende Gewebe frisst. Richard würgte, doch das Einzige, das er von sich geben konnte, war ein Mund voll Magensäure.
    Sie kamen um eine Biegung, und er spürte, wie seine Beine nach unten zeigten, dann wurde sein Rücken nach hinten durchgebogen, und als Nächstes schlug er mit dem Hinterkopf gegen etwas Hartes. Wieder und wieder spürte er den Aufprall, als würde er eine Treppe hinuntergeschleift, die eigentlich für Riesen gemacht war. Die wiederholten Schläge auf seinen Kopf schickten ihn fast zurück in eine barmherzige Ohnmacht, doch seine Angst hielt ihn letztlich bei Bewusstsein.
    Der Untergrund wurde wieder eben, und sie zogen ihn weiter über Schutt und Geröll und etwas, das sich anfühlte wie Leichen, aber Richard konnte seinen Kopf nicht weit genug drehen, um etwas zu erkennen. Doch sah er, während sein Kopf sich dem unebenen Boden folgend hob und senkte, zumindest wie sich die Umrisse der beiden Gestalten, die ihn an den Füßen gepackt hielten, gegen den schwachen Lichtschein am Ende des Ganges abhoben. Die eine war kaum größer als ein Kind, ihre Gliedmaßen knorrig und dünn wie Äste. Die andere schien weit größer zu sein, ihre Konturen weich und glänzend. Dann wurde das flackernde Licht immer stärker, und er sah nur noch ihre Schatten. Was er jedoch ganz deutlich erkennen konnte, war, dass es sich bei den Lichtquellen an den Wänden nicht um Fackeln oder Öllampen handelte, sondern um menschliche Schädel, in denen ein Feuer brannte.
    Richard versuchte zu schreien, aber kein Laut kam aus seiner Kehle. Er versuchte sich zu wehren, doch seine Arme und Beine verweigerten ihm den Gehorsam.
    Nein! , schrie er innerlich. Das könnt ihr nicht mit mir machen! Nicht mit mir! Ich … ich töte euch alle!
    Sie betraten einen großen Raum, an dessen Wänden so viele von diesen Schädelfackeln brannten, dass es aussah, als stünden die Wände selbst in Flammen. Überall standen große Tische, darauf sah er Körper, die sich wie in

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