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Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
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bis in ihr Herz durchdrang, und sie wusste, dass sie sich wieder ihrer Aufgabe zuwenden musste. Sie musste es für sich tun. Für ihr Kind. Und für die Kinder von Generationen von Enkeln und Urenkeln, die sich eines Tages in der Realität ihrer Vision wiederfinden würden.
    Als Jill ihre Augen öffnete, war sie wieder in dem Pueblo, doch das Skelett war verschwunden. Etwas auf ihrem Schoß bewegte sich, und Jill schaute hinunter auf ein kleines, in Tierhaut gewickeltes Bündel. Ein zartes, rosafarbenes Gesicht blickte sie an aus Augen, die aussahen wie die ihren. Die Haare auf dem Kopf des winzigen Babys waren nicht mehr als ein blonder Flaum und so hell, dass sie beinahe durchsichtig waren, und als die Kleine sie anlächelte, zog sie ihren rechten Mundwinkel nach oben. Genau wie ihr Vater.
    Ihr Bewusstsein versank in den Augen dieses kleinen Babys, dann erwachte sie erneut, und diesmal fühlte es sich an, als wäre sie wieder im Hier und Jetzt. Immer noch starrte sie durch die Jahrhunderte hindurch in die leeren Augenhöhlen dieser Frau, die, ohne sie zu kennen, genügend Mitgefühl mit Jill gehabt hatte, um alles aufzugeben, das ihr wichtig gewesen war.
    Ein Windstoß wirbelte den Staub auf dem Boden um sie herum auf. Wirst du alles aufgeben für dieses Kind? , fragte er wispernd.
    »Natürlich«, flüsterte sie, während Tränen eine feuchte Spur durch den Schmutz auf ihren Wangen zogen.
    Als Jill hinauf zu der Dachluke blickte, sah sie gerade noch, wie sich ein großer, weißer Vogel in die Luft erhob und ihr mit seinem Flügelschlag einen Schwall von Staub und Vergangenheit ins Gesicht wehte.
    Endlich begriff sie. Nur wenige Dinge währten ewig, und nur eines davon konnte aus freien Stücken weitergegeben werden. Der Liebe einer Mutter zu ihrem Kind konnte selbst die Zeit nichts anhaben, und die Gosiute hatten ihre Seelen dem Sturm geopfert, damit sie diese Lektion begriff, und Jill damit das einzige Geschenk gegeben, das alle Ewigkeit überdauerte.
    Hoffnung.

LXXV
     
    IN DEN RUINEN VON DENVER, COLORADO
     
    Tief unten in dem schwarzen Herzen des Turms bewegte sich etwas. Etwas, das nie hätte existieren dürfen. Eine Lästerung Gottes und Seiner Schöpfung, eine Lästerung des Lebens selbst, das durch seine Adern floss.
    Pest öffnete ihren Mund, und es ertönte ein Geräusch, das klang wie ein rückwärts abgespielter Schrei. Die Moskitos, die immer noch von oben bis unten den Körper der Kreatur bedeckten, flogen auf und wurden in einen Strudel gesogen, hinein in Pests Schlund. Die Heuschrecken verweilten noch kurz und krabbelten auf der schwarzen Haut hin und her, während ihre Saat sich in dem Körper festsetzte und die Veränderungen sich manifestierten, die das Wesen zu einer Verkörperung des Bösen verkrüppelten, den Hass, der ihm innewohnte, nährten, um etwas zu gebären, das weder Mitleid noch Reue kannte. Ihre Augen glühten rot, während sie mit ihren dürren Hinterbeinen ein letztes Mal sangen. Dann stieß Hunger seinen stillen Ruf aus, und auch sie flogen auf, verschmolzen wieder mit dem weißlich schimmernden Körper ihres Herrn.
    Hinter ihm stand Tod, sein von einer Kapuze verhülltes Gesicht schwach erleuchtet von den Flammen, die in den menschlichen Schädeln loderten. Mit leuchtenden Augen verzog er seine Lippen zu einem Lächeln und ließ seine scharfen Zähne aufblitzen.
    Ihre Aufgabe war bei weitem noch nicht erledigt.
    Mit einem Ruck setzte die Kreatur sich auf und riss sich dabei von den Nägeln los, mit denen sie auf dem Tisch fixiert gewesen war, ohne den geringsten Schmerz zu spüren. Dann warf sie den Kopf in den Nacken und stieß einen Schrei aus, der das Stahlgerüst des Gebäudes erzittern ließ. Staub rieselte auf sie herab und hing in der Luft wie Nebel.
    Diesmal würden sie nicht zurück in die Dunkelheit verbannt werden. Sie waren jetzt stärker. Und klüger.
    Der Herr, der sie herbeigerufen hatte, war schwach. Die sterblichen Auserwählten in ihren verletzlichen Körpern aus Fleisch und Blut waren die einzige Waffe, mit der Er sie bekämpfen konnte.
    Einer nach dem anderen rissen sich ihre Schöpfungen von den Tischen los, auf denen sie ins Leben gerufen worden waren, und erhoben sich wie bizarre Schatten aus der sich langsam absenkenden Staubwolke.
    Es war an der Zeit, Seinen goldenen Thron zu stürzen und ihn zu ersetzen durch einen, der aus den Knochen Seiner Jünger bestehen würde. Tod war Gottes auserwählter Sohn und kein anderer. Er war derjenige, dessen Aufgabe

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