Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm der Seelen: Roman

Sturm der Seelen: Roman

Titel: Sturm der Seelen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael McBride
Vom Netzwerk:
Dornengestrüpp mit Stacheln so lang und spitz, dass sie mit Leichtigkeit jede Büffelhaut aufgeschlitzt hätten.
    Hunger öffnete seinen Mund zu einem tonlosen Schrei und spuckte eine Wolke aus Heuschrecken in den Himmel, die den schwarzen Turm wie eine Windhose umkreiste und dann durch die leeren Fensterhöhlen verschwand, hinein in die Eingeweide des finsteren Gebäudes.
    Mit einem kurzen Flackern der durchsichtigen Lider über seinen Reptilienaugen transportierte Tod sich in einen anderen Bereich der Festung, irgendwo in den düsteren Schatten zu seinen Füßen. Schreie drangen an seine Ohren – ein ganz besonderer Schmerzenschor. Pest benutzte ihre Fingerspitzen wie Skalpelle, öffnete die Körper der Verdammten, um den Myriaden von Moskitos, die aus jeder Öffnung ihres mumifizierten Körpers quollen, Einlass zu verschaffen, und ihre pergamentartige Haut platzte ab an den Stellen, an denen die größten Insekten aus ihr herauskrabbelten. Tod beobachtete durch ihre leblosen Augen, wie die Moskitos in den offenen Wunden der auf die Konferenztische vor ihr genagelten Körper herumkrabbelten. Männer wie Frauen schrien auf in ihrem göttlichen Schmerz, rissen an den Nägeln, die durch ihre Füße und Handgelenke getrieben worden waren, krallten sich in das Holz unter ihnen. Ihr Bauchfell schimmerte wie Plastikfolie über dem Inhalt der freigelegten Gedärme, und darunter fraßen sich die Moskitolarven durch Blut und Gewebe.
    Die Decke des unterirdischen Raums neigte sich unter dem Gewicht des schrägstehenden Gebäudes, die drückende Luft war erfüllt von der Reststrahlung des Ground Zero der Explosion und dem Geruch versengter Haare und verbrannter Haut. Fackeln an den Wänden verbrannten schier endlose Vorräte von menschlichem Fett und warfen ihr flackerndes Licht auf eine Mischung aus mittelalterlicher Folterkammer und modernem Konferenzraum. Dieser Gegensatz gab dem Leiden etwas Surreales, als überbrücke der Schmerz die Zeit zwischen den beiden Epochen der Menschheitsgeschichte. Mit dem Dröhnen von Millionen winziger Flügel und einem Summen, das den Boden unter Pests zierlichen Füßen erzittern ließ, ergoss sich die Wolke von Heuschrecken in den Raum und ließ sich auf den festgenagelten Körpern nieder. Sie gruben sich in die Fleischwunden, die Pests Finger zurückgelassen hatten, und befruchteten die Larven mit der mutierten DNA in ihrem wie ausgespuckter Kautabak aussehenden Speichel, um sich dann zufrieden wieder in Richtung Decke zu erheben und nichts als erdrückende Stille zurückzulassen, die Luft beraubt der Schreie der kürzlich Verstorbenen.
    Pest beobachtete mit klinischem Interesse, wie die winzigen Moskitos sich in überlange Geißeltierchen, flügellose Libellen verwandelten und sich in die verschiedenen Organe bohrten. Selbst Gott, so schien es, konnte das Ergebnis seiner Experimente nicht immer vorhersehen. Die Insekten-Chromosomen, verwoben mit der Helix der Schöpfung selbst, verursachten eine enzephalitische Schwellung im Rückenmark der menschlichen Opfer, aus denen sich die Reptilien-Armee des Schwarms rekrutierte. Pest musste herausfinden, welche Mutationen noch möglich waren, wenn sie andere Körperregionen infizierte. Könnten Veränderungen an der Hypophyse drastische Wachstumsschübe auslösen? Könnte sie mithilfe der Nebenschilddrüsen die Knochendichte signifikant verändern? Was für Modifikationen ließen sich noch anstellen, um Geschöpfe mit schier unbeschränktem Potenzial zu erschaffen?
    Die gerade noch toten Körper begannen sich zu verändern, und Tod ließ lächelnd seine rasiermesserscharfen Zähne aufblitzen, weidete sich an dem Anblick der erstaunlichen Mutationen, die Pests Experimente bewirkten.
    Sein Bewusstsein sprang weiter, sein Gesichtsfeld jetzt beengt durch die gezackten Schlitze in Kriegs Gesichtsmaske. Hoch über dem Schutt thronte er auf Donner, seinem riesigen Reittier. Aus den Überresten der reich verzierten Fassade einer eingestürzten Kirche ragte eine Ampel schief in den Himmel, nur wenige Meter über dem geschmolzenen Asphalt, auf dem nie wieder Autos fahren würden. Auf den Mauern der wenigen noch stehenden Gebäude waren die Umrisse von Menschen eingebrannt, die zum Zeitpunkt der Explosion in der Nähe des Epizentrums gewesen und einfach verdampft waren; sie waren ein gespenstisches Abbild ihrer letzten, panikerfüllten Momente und einziges Zeugnis ihrer ausgelöschten Existenz, denn ihre Asche hatte der Wind längst in alle

Weitere Kostenlose Bücher