Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
»Das wollte ich nicht.«
»Ist schon gut«, sagte sie, nachdem sie sich wieder gefasst hatte. Einmal mehr konnte sie sich nur darüber wundern, wie mühelos dieser Mann, der auf den ersten Blick so schlicht wirkte, in ihrem Innern zu lesen verstand. »Lasst mich Euch noch meinen Dank sagen. Ohne Euch wäre ich verloren gewesen.«
»Passt auf Euch auf, Herrin, und haltet die Augen offen. Wir leben in stürmischen Zeiten. Es würde mich freuen, wenn wir uns irgendwann wiedersehen. Und nun lebt wohl.«
Schnaubend setzte sich der Wallach in Bewegung.
Obwohl Bruder Lereck längst hinter einer Biegung verschwunden war, stand Algha immer noch in der Kälte vor dem Tor und sah die verlassene, schneebedeckte Straße hinunter.
Algha setzte sich abrupt im Bett auf und presste die Hände gegen den Hals. Ihr Herz hämmerte wie wild und schien ihr fast aus der Brust zu springen. Das Nachthemd war von Schweiß durchtränkt, ihre Finger zitterten.
Dieses Mal war es ihr erneut gelungen, die Nekromantin zu töten, indem sie raffiniert vorgegangen war, jedes neue Geflecht aus dem vorherigen entwickelt sowie die Zauber zuweilen gedrittelt oder trügerische und leere hervorgebracht hatte. Auf diese Weise hatte sie die Frau abgelenkt, ihren Schutz durchbrochen und sie schließlich besiegt.
Als die Nekromantin endlich zu Boden ging, sprang Algha mit einem triumphierenden Aufschrei hinter den Kisten hervor, spürte jedoch noch in derselben Sekunde, dass jemand seine Dunkle Gabe anrief. Die Furcht, der Kampf sei noch immer nicht vorüber, hatte sie denn auch aus dem Schlaf gerissen.
»Hol mich doch das Reich der Tiefe, es hat geklappt!«, flüsterte sie. »Ich habe es wieder geschafft!«
Da ihre Kehle völlig ausgetrocknet war, wollte sie unbedingt etwas trinken. Sie langte nach der Karaffe auf dem Nachttisch und goss sich mit leicht zitternder Hand etwas Wasser ein, um das Glas dann in einem Zug zu leeren. Anschließend stieg sie aus dem Bett und lief barfuß zum Fenster hinüber. Mit einem Blick hinauf zum Himmel stellte sie fest, dass Mitternacht kaum vorüber war.
Noch während sie hinaussah, schienen ihre Finger in Flammen aufzugehen, zudem peinigte ein entsetzlicher Schmerz jeden einzelnen ihrer Knochen. Verängstigt aufschreiend zog sie sich in Windeseile an. Hier setzte jemand den dunklen Funken ein.
Kaum war sie in den Rock geschlüpft und hatte sich den Schal umgebunden, huschte sie in den Gang hinaus. Der Funken wurde im Stockwerk über ihr angerufen. Mit dumpf wummerndem Herzen rannte sie durch die Gänge. Jeder Schatten und jedes verdächtige Rascheln ließ sie erschaudern. Mit einem Mal nahm sie den Einsatz der Gabe jedoch nicht mehr wahr. Das versetzte sie in noch größere Panik als die Vorstellung, der Kampf dauere an.
In dieser Verfassung hätte sie zwei Soldaten, die gerade um die Ecke bogen und sich friedlich unterhielten, beinah ein Geflecht entgegengeschleudert. Mit letzter Willenskraft dämmte sie ihren Funken ein. Die Männer runzelten fragend die Stirn, als sie sie in einem derart aufgelösten Zustand erblickten.
»Schlagt sofort Alarm!«, schrie Algha. »In der Burg ist ein Nekromant!«
Keiner der Männer stellte eine überflüssige Frage, beide stürzten laut polternd die Treppe hinunter. Algha rannte in die andere Richtung weiter. Kurz darauf sah sie Shila, die, nur spärlich bekleidet und barfuß, einen ebenso fragwürdigen Anblick bot wie sie selbst.
Beide riefen wie aus einem Munde: »Thirra!«
Sie eilten zu den Gemächern der Schreitenden.
Die Tür war geschlossen. Kaum öffnete Algha sie, schickte Shila die Jähe Starre ins Zimmer, einen Zauber, der alle, die sich im Raum aufhielten, für einige Zeit außer Gefecht setzen würde. Sobald das Zischen und Knistern verstummt war, traten die Frauen ein, beide mit vorbereiteten Kampfzaubern, die sie nur noch gegen ihre Feinde zu schicken brauchten.
»Gib mir Licht!«, bat Shila leise, als sie vorsichtig am Bücherschrank vorbei zu dem eingeschlagenen Fenster ging. Daraufhin ließ Algha einige silbrige Glühwürmchen von ihrem Handteller zur Decke aufsteigen.
Unten im Hof erscholl das Horn, dem nur wenige Sekunden später Glockengeläut antwortete. Die beiden Schreitenden verließen sich indes nicht auf die alarmierten Soldaten: Sie stellten im Kampf gegen einen Nekromanten keine Hilfe dar.
Thirra lag neben dem Tisch auf dem Boden. Ihr Kopf war in einem unnatürlichen Winkel nach hinten verdreht, fast als wollte sie in Erfahrung bringen, was
Weitere Kostenlose Bücher