Sturm: Die Chroniken von Hara 4 (German Edition)
Bogensehne zu durchtrennen. Außerdem verpasste er mir eine tiefe Schnittwunde am rechten Unterarm. Danach wendete sich das Blatt – und ich knallte ihm den Bogen mit voller Wucht ins Gesicht, zog ihm das Bein mit dem unteren Ende der Waffe weg und erfreute ihn mit einem zweiten Schlag in die Visage. Alles andere war dann nur noch eine Frage weniger Sekunden.
Als ich nach dieser kleinen Rangelei wieder zum Wald hinterm Weiler hinüberspähte, erblickte ich eine Frau in einem schwarzen Kleid. Sie stürzte über den Pfad davon, begleitet von jenem Tier, das ich bereits aus dem Regenbogental kannte.
Aber was sollte ich tun? Meine Sehne war schließlich hinüber! Noch während ich den Bogen neu spannte, verschwand Blatter zwischen den Bäumen.
»Hol mich doch das Reich der Tiefe!«, fluchte ich – und rannte ihr nach.
»Wolltest du nicht Algha suchen?«,
fragte Lahen.
»Hat die Verdammte nicht Vorrang?«,
entgegnete ich. Im Laufen verband ich meine Wunde rasch mit meinem Halstuch.
»Alenari ist nicht Mithipha«,
erwiderte Lahen.
»Und hinter der sind wir her.«
Mein Augenstern hatte recht. Außerdem hatte mich Rona gebeten, ihre Schwester zu suchen. Das sollte ich wohl auch besser tun – bevor womöglich jemand Alghas Leben ein Ende setzte. Blatter musste also noch ein wenig warten.
So folgte ich den Spuren, die Ronas Schwester hinterlassen hatte. Hinter mir kam es zu einer magischen Explosion nach der nächsten. Rona und Shen waren noch immer in Kämpfe verstrickt …
Überall loderten dunkle Funken. Ständig hörte Algha lautes Donnern sowie wütendes Geschrei. In ihrem Rücken tobte eine wahre Schlacht. Sie konnte nur ahnen, was im Weiler im Schwange war und wer da gegen wen kämpfte. Zumindest eins stand jedoch außer Frage: Die Nekromanten mussten sich ernsthaft entzweit haben – wenn sie sich jetzt schon gegenseitig an die Kehle gingen.
Aber sollten sie! Sie, Algha, hätte bestimmt nichts dagegen, wenn sie alle Kadir ins Reich der Tiefe folgten. Groß genug, sämtliche Träger des dunklen Funkens aufzunehmen, war es ja auch …
Sie stürzte kopflos weiter, ohne auf den Weg zu achten. Aber wer würde sich bei diesem Gemetzel überhaupt um sie kümmern?!
Der Wald – dieser helle, gute, vertraute und freundliche Wald – schien sie mit offenen Armen zu empfangen. Erst als sie auch nicht mehr das geringste Geräusch hörte, blieb sie stehen und sah sich um. Die Sonne bahnte sich ihren Weg durch das smaragdgrüne Dach und erhellte einen Pfad, der von jungem Farn überwuchert wurde.
»Weiter!«, spornte sich Algha an. »Bleib nicht stehen.«
Sie folgte dem Pfad, sich dabei ständig nach allen Seiten umsehend.
Um Mitha tat es ihr unsagbar leid. Nie im Leben hätte Algha damit gerechnet, dass ihre Freundin ihr in ihrem Zustand helfen würde. Warum nur hatte sie dafür mit dem Leben bezahlen müssen?! Dass Mitha ihretwegen gestorben war, trieb Algha die Tränen in die Augen.
Der Pfad brachte sie an einen langsam dahinströmenden Bach. Die flachen Steine am Ufer waren mit Moos bewachsen. Die Erde war so matschig, dass ihre Spuren rasch mit Wasser vollliefen. Der Pfad schlängelte sich noch eine Weile dahin, verlor sich dann aber im Dickicht. Beherzt kämpfte sie sich in den Wald vor, begriff aber schon bald, dass sie die Orientierung verloren hatte.
Sie stromerte noch eine Weile weiter – bis sie dann am Bach ihre gefluteten Spuren im Schlamm vor sich sah. Enttäuscht stöhnte sie auf. Sie war im Kreis gelaufen! Und noch immer viel zu nahe am Weiler!
Aber sie durfte einfach nicht aufgeben! Vorwürfe könnte sie sich später machen. Jetzt kam es nur auf eins an: ein Versteck zu finden. Diesmal wählte sie eine andere Richtung und kam zügig voran. Nach etwa fünf Minuten erreichte sie eine Lichtung. Sie hatte sie kaum zur Hälfte durchquert, da hörte sie hinter sich ein leises, bedrohliches Knurren. Sie wirbelte herum und wich einen Schritt zurück.
Blatters Uyg stand am anderen Ende der Lichtung. Das Tier hielt den Kopf gesenkt, hatte die Oberlefze gefletscht und ließ seine bedrohlichen, blendend weißen Zähne sehen. In seiner Kehle gurgelte es.
Mit gehetztem Blick hielt Algha nach Rettung Ausschau, aber jeder Baum, auf den sie hätte klettern können, war zu weit entfernt. Den Uyg fest im Auge behaltend, wich sie langsam zurück.
Mit einem Mal trat ein Mann an ihr vorbei auf die Lichtung, der mit einem Schwert bewaffnet war. An seinen Schläfen machte sie das gleiche silbergraue Haar
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