Sturm: Roman (German Edition)
Tsunami.«
Plötzlich huschten ihre Augen zur Seite und weiteten sich. Lubaya stapfte durch das Wasser auf sie zu – sie war Dirk gefolgt, ohne dass er es gemerkt hatte.
»Lubaya!« Kinah strahlte. »Wie schön, dich zu sehen!«
»Ganz meinerseits«, brummte Lubaya, während sie näher kam. Sie hob den Saum ihres bunten Kleides hoch und wrang ihn aus. »Das war vielleicht eine Hetzerei, dich zu finden, Herzchen! Aber ich hatte mir schon gedacht, dass du dich hier in Sicherheit bringen würdest. Woher kommt eigentlich auf einmal das ganze Wasser?« Sie sah missbilligend an sich hinab.
»Es dringt durch die Decke«, antwortete Kinah besorgt. »Und ich fürchte, das ist kein gutes Zeichen.«
Lubaya seufzte. »Da wirst du wohl recht haben. Aber genug gequasselt! Jetzt komm erst mal an Mutters Busen.«
Mit diesen Worten ließ sie den Saum ihres Gewandes fallen – was Dirk durchaus begrüßte – und drückte Kinah an sich – was er nicht gerne sah. Er spürte einen Stich von Eifersucht, als Lubaya Kinah so innig umarmte wie eine Mutter ihre Tochter, obwohl sie doch etliche Jahre jünger war als Kinah.
Kinah erwiderte die Umarmung, löste sich dann aber sehr schnell von Lubaya. »Etwas Fürchterliches ist geschehen.« Sie warf Dirk einen kurzen Blick zu, wobei ein Lächeln ihre Lippen umspielte, das jedoch gleich wieder erstarb. »Und damit meine ich nicht die Katastrophe, die über die Menschen gekommen ist, die sich nicht rechtzeitig vor dem Tsunami in Sicherheit bringen konnten. Ich meine etwas, das sich hier vor unseren Augen abgespielt hat, vielleicht die ganze Zeit über, ohne dass wir es gemerkt haben.«
Lubaya rückte die fleckige braune Ledertasche zurecht, die sie aus der Bibliothek in Herzen des Labyrinths mitgenommen hatte. »Du sprichst in Rätseln. Ich verstehe kein Wort.«
»Ich verstehe es ja auch nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass wir hier nicht alleine sind.« Kinah blinzelte. »Vorhin habe ich gespürt, dass jemand direkt hinter mir steht. Und dann berührte etwas meinen Arm. Ich blöde Kuh war so fertig mit den Nerven, dass ich geschrien habe wie ein hysterischer Teenager. Aber als ich mich umdrehte, war da nichts. Überhaupt nichts?«
Lubaya stieß einen tiefen, mütterlich klingenden Seufzer aus. »Ehrlich gesagt kapiere ich gar nichts.«
»Wahrscheinlich hört sich das alles auch etwas wirr an.« Kinah strich sich die feuchten Haare aus der Stirn. »Dann ist es wohl am besten, wenn ich jetzt einfach die Klappe halte und euch zeige, worüber ich gestolpert bin.«
Damit drehte sie sich um und watete um den Felsen herum, der ihr als Künstlerwerkstatt gedient hatte. Dirk blickte ihr nach. Es war verrückt, aber erst in diesem Moment begriff er mit einer Klarheit, die alles andere vollkommen unwichtig machte, wie sehr er sie in den drei Jahren vermisst hatte.
Kinah war und blieb die Liebe seines Lebens, und daran würde sich nie etwas ändern.
Er beeilte sich, ihr zu folgen, genauso wie Lubaya, deren Miene eine bittere Entschlossenheit verriet, die nichts Gutes verhieß. Dirk konnte immer noch nicht nachvollziehen, was die beiden so ungleichen Frauen miteinander verband. Aber darauf kam es auch nicht an. Hauptsache, er hatte Kinah wieder.
Obwohl er sich bemühte, war Lubaya schneller als er. Er hatte sich beim Schwimmen vollkommen verausgabt.
Als er um die Ecke bog, stieg Kinah gerade mit katzengleicher Eleganz über die Stufen eines hölzernen Tritts aus dem Wasser. Ihr kleiner, fester Po zeichnete sich deutlich unter ihrem nassen, braunen Kleid ab. Dirk beobachtete, wie sie sich anmutig an einer Skulptur vorbeischlängelte, die das genaue Gegenteil von ihr war – hässlich und abstoßend – und dann auf die Ziegelmauer zusteuerte, die den Felsabsatz begrenzte wie der Schutzwall einer Burg.
Dirk hätte alles dafür gegeben, jetzt an ihrer Seite zu sein. Stattdessen musste er mit ansehen, wie Lubaya das schmale Treppchen betrat, das unter ihrem Gewicht ächzte, und die Stufen auf eine Art hinaufdonnerte, die nach Kinahs Anblick etwas ungemein Ernüchterndes hatte. Dirk ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor er ihr folgte, denn er hatte absolut keine Lust, Lubayas gewaltiges Hinterteil direkt vor der Nase zu haben.
»Hierher!«, erscholl Kinahs Stimme, als er den Fuß auf die erste Stufe setzte. »Kommt schnell!«
Dirk quälte sich aus dem Wasser wie ein alter Mann. Die oberste Stufe flirrte vor seinen Augen, und er streckte haltsuchend die Hände aus … die nicht Kinah
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