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Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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ergriff, sondern Lubaya, denn Kinah war natürlich schon längst aus seinem Sichtfeld verschwunden.
    »Nicht so schnell mit den jungen Pferden«, sagte Lubaya besorgt und zog ihn zu sich heran. »Meine Salbe zwingt zwar das Gift aus deinem Körper und deiner Seele, aber deswegen bist noch lange nicht wieder fit. Du musst dich schonen.«
    Dieser Ratschlag war ungefähr so sinnvoll, wie einem Piloten im Landeanflug zu sagen, er sehe käsig aus und solle sich für ein Viertelstündchen aufs Ohr legen.
    Dirk machte sich von Lubaya frei und eilte in die Richtung, in die Kinah verschwunden war, konnte sie in dem Durcheinander aus Kunstobjekten und Arbeitsmaterialien jedoch nicht entdecken.
    »Vorsicht!«, rief Lubaya.
    Zu spät – er knallte mit dem Kopf gegen die Skulptur, der Kinah so leichtfüßig ausgewichen war. Eine schauderhafte Fratze starrte ihn an, ein übergroßer Mund schien nach ihm zu schnappen, und die Arme, die eben noch vollkommen starr gewirkt hatten, schnellten vor. Die ganze Skulptur beugte sich ein Stück weit zu ihm, als wollte sie ihn packen und würgen …
    Dann trat Lubaya neben ihn. Mit der einen Hand schob sie Dirk beiseite, mit der anderen hielt sie das zappelnde Kunstobjekt fest. »Ich habe Vorsicht gesagt!«, donnerte sie.
    »Ich konnte doch nicht ahnen, dass dieses Ding gleich über mich herfällt«, erwiderte Dirk.
    »Das ist kein Ding, das ist Kunst«, verbesserte ihn Lubaya. »Auch wenn ich nicht verstehe, warum Kinah in letzter Zeit mit flexiblem Material arbeitet, statt schöne, runde, feste Statuen zu schaffen – davon würde ich nämlich mehr halten.«
    »Ja, das denke ich mir.«
    »Was soll das denn heißen?« Lubaya stemmte die Hände in die Hüften und funkelte ihn an. »Stehst du etwa auf Klappergestelle?«
    »Nein.« Dirk sah sich suchend um. »Ich stehe auf Kinah. Und wenn es dir nichts ausmacht, möchte ich jetzt gerne zu ihr.«
    Das war offensichtlich die richtige Antwort, denn Lubayas Lippen verzogen sich zu einem breiten Lächeln. »Klar doch. Gehen wir.«
    Dirk warf einen misstrauischen Blick auf das, was Akuyi Skulpschtur genannt hätte. Die Gestalt wackelte bedrohlich. Er sollte machen, dass er hier wegkam.
    Seine euphorische Stimmung hatte durch die Skulptur und die damit verbundene Erinnerung an Akuyi einen deutlichen Dämpfer erhalten, und während er Lubaya folgte, die in ihrer gewohnt selbstsicheren Art vor ihm herstapfte, begriff er, warum Kinah bei der Gestaltung ihrer mannshohen Kunstwerke von starrem auf flexibles Material umgestiegen war. Ihr Leben hatte einen Knacks bekommen, nachdem sie ihre kleine Familie verlassen hatte. Nichts war für sie mehr fest und sicher, alles in Aufruhr und Bewegung. Umso mehr fragte er sich, warum sie diesen Schritt getan hatte.
    Gerade, als er anfangen wollte, sich Sorgen zu machen, entdeckte er Kinahs langes schwarzes Haar hinter einer sitzenden Skulptur, die scheinbar in stummer Verzweiflung die Hände gen Himmel reckte –oder vielmehr zur Decke der Grotte, von der auf unerklärliche Weise ein feiner Nieselregen fiel wie an einem Herbsttag in Deutschland.
    Kinah fuhr hoch und drehte sich zu ihnen um. Dirk war nicht sicher, ob die glänzende Feuchtigkeit in ihrem Gesicht nur von den Wassertropfen stammte, die hier alles und jeden benetzten. In ihren wunderschönen dunklen Augen war eine Traurigkeit, die etwas anderes vermuten ließ.
    Es schmerzte ihn, sie so zu sehen.
    »Was ist los?«, fragte er.
    Kinah deutete auf die Ziegelmauer, die an dieser Stelle eingestürzt war. Hinter dem entstandenen Loch tat sich ein dunkler Hohlraum auf. Dirks Blick wanderte über frische Bruchspuren, halb herausgerissene Ziegel, die jederzeit nachrutschen konnten, und einen wüsten Haufen von Dreck und Gestein zu Kinahs Füßen.
    »Das muss während des Bebens passiert sein.«
    »Beben?« Dirk dachte an die Grotte, die sie durchquert hatten und die hinter ihnen zusammengebrochen war, und an den Gang, durch den sie geflohen waren und der tatsächlich gebebt hatte.
    »Was stehst du hier rum und guckst blöd!«, herrschte ihn Kinah an, doch dann fügte sie rasch hinzu: »Entschuldige. Die Nerven. Ich wollte nicht …«
    Dirk winkte ab. »Schon gut. Die letzten Tage waren für uns alle ziemlich anstrengend. Aber ich habe immer noch nicht verstanden, was du mir zeigen wolltest.«
    Kinah nickte und fuhr sich durch die Haare. Es war eine beiläufige Geste, aber eine der Gesten, die Dirk an ihr liebte und die er unglaublich erotisch fand. Am liebsten

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