Sturm: Roman (German Edition)
sollen Sie auch kriegen«, sagte Janette. »Aber ich komme erst mal zu Ihnen. Das Feuerzeug muss sich eh etwas abkühlen, sonst kriege ich noch Brandblasen an den Fingern.«
Den Geräuschen nach setzte sie sich gleich in Bewegung.
»Vorsicht«, rief Dirk. »Hier liegt alles Mögliche am Boden …« Da klirrte es auch schon, als Janette gegen etwas stieß. »Und an der Decke hängt …«
»Autsch«, keuchte sie. »Schon gemerkt. Warten Sie …« Dirk hörte, wie sie das Feuerzeug drei oder vier Mal schnappen ließ, dann, als er schon glaubte, es hätte endgültig den Geist aufgegeben, flammte es auf. Alles, was er im ersten Moment sah, waren zwei große Augen in einem leichenblassen Gesicht, dann senkte Janette das Feuerzeug und schwenkte es einmal in die Runde.
»Das darf nicht wahr sein«, murmelte sie entsetzt.
Dirk starrte sie durchdringend an, als könne er sich damit den Anblick dessen ersparen, was hinter ihm war und sie dermaßen aus der Fassung brachte. Erst als Janette einen weiteren Schritt auf ihn zumachte, erwachte er aus seiner Erstarrung.
»Das ist …«, flüsterte Janette tonlos. »Oh Gott, mir wird schlecht. Ich glaube, ich muss kotzen.« So sah sie auch aus. Ihre Gesichtsfarbe wirkte grünlich und ihre Mundwinkel zuckten.
Dirk blickte zu Boden. Das Licht des Feuerzeugs war unruhig und schwach, aber es reichte, um Reflexe auf die Oberfläche der Flüssigkeit zu zaubern, in der er stand. Sie war dunkel und dickflüssig, und irgendetwas schwamm in ihr.
Dirk gab sich einen Ruck und drehte sich um in die Richtung, in der das lag, auf das er getreten war.
Die Flamme wurde heller, als wollte sie ihn ganz deutlich erkennen lassen, was da vielleicht schon seit Jahren von der stinkenden Brühe umspült wurde – und dann erlosch sie unvermittelt. Dirk hatte nur flüchtig einen massigen Schatten gesehen, der aus durchweichtem Unrat ragte, nicht mehr, doch das genügte, um ihn aufstöhnen zu lassen. Es war ein menschlicher Schatten, da hatte er keinen Zweifel, und auch in einem anderen Punkt schien sich sein furchtbarer Verdacht zu erhärten: Das waren nicht die Umrisse eines gerade Gestorbenen, sondern die verfallenen Formen einer schon seit Ewigkeiten in Verwesung befindlichen Leiche; begleitet von einem Gestank, der vielleicht typisch für den aktuellen Verwesungsgrad war, womöglich aber auch nur mit all dem Mist zu tun hatte, der hier sonst noch herumschwamm.
»Das Feuerzeug, schnell«, stammelte er. »Mach es an, schnell!« Ein mehrfaches metallisches Klicken verriet ihm, dass Janette genau das versuchte. Aber ohne Erfolg.
»Was ist da unten los?«, donnerte Biermanns Stimme. »Soll ich kommen?«
»Wenn du eine Taschenlampe hast, ja!«, rief Janette zurück. »Und bring Gasmasken mit!«
»Okay«, sagte Biermann. »Bin schon unterwegs.«
Tatsächlich waren Schritte auf der Treppe zu hören. Es klang, als wäre ein ganzes Einsatzkommando unterwegs. Sehen konnte Dirk allerdings nichts, zunächst, weil es zu dunkel war, dann, weil er jäh vom Licht eines starken Scheinwerfers geblendet wurde.
»Was ist das denn?«, ertönte Johns Stimme, während Dirk versuchte, die Tränen wegzublinzeln, die ihm in die Augen schossen. »So eine Schweinerei habe ich ja noch nie gesehen!«
Die zwei Schemen, die Dirk auf sich zukommen sah, waren zweifellos Rastalocke und Biermann. Hinter dem grellen Licht des Scheinwerfers verborgen wirkten sie so unscharf wie Aliens in einem Hollywoodfilm. Dirk wandte sich mit zusammengekniffenen Augen wieder der Stelle zu, wo er die Leiche entdeckt hatte, und kratzte so heftig an der Rattennarbe an seinem rechten Handgelenk, dass es wehtat.
»Was für ein Gestank!«, schimpfte Rastalocke. »Und was für ein Dreck! Entsorgen die hier etwa ihre Essensabfälle?«
Dirk ließ von der Narbe ab und starrte dorthin, wo er in etwas Weiches getreten war. Das, was da lag, hatte tatsächlich menschliche Umrisse, und was er für einen Arm gehalten hatte, konnte durchaus ein Arm sein und war in roten oder blauen Stoff gehüllt, so genau konnte Dirk das nicht erkennen.
»Was ist das?«, fragte Biermann und trat neben Dirk. »Sieht ja fast aus wie …« Er ging die Hocke.
Vor Dirks Augen flirrte es immer noch.
Biermann streckte die Hand aus, besann sich jedoch im letzten Moment und zog ein Papiertaschentuch hervor. Auf diese Weise halbwegs geschützt, berührte er das verwesende Etwas.
»Wenn es das ist, was ich glaube«, murmelte er, »sollten wir vielleicht jemanden
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