Sturm: Roman (German Edition)
Bierkasten hockte.
»Na denn, meine Dame, meine Herren.« Biermann machte eine einladende Handbewegung. »Gehen Sie ruhig zuerst«, sagte er zu Dirk.
Das ließ sich Dirk nicht zweimal sagen. Mit ein paar Schritten war er am Hintereingang, schob den billigen Kunststoffvorhang zur Seite … und stolperte rückwärts, als etwas fauchend auf ihn zusprang …
Eine riesige, pechschwarze Katze kam knapp neben ihm auf dem Boden auf, stieß ein zweites Fauchen aus und jagte dann im Zickzackkurs davon.
»Jetzt fehlen nur noch Selbstschussanlagen«, sagte Rastalocke hinter ihm. »Soll ich vorgehen?«
Dirk schüttelte den Kopf und betrat den Bungalow. Der kleine Flur vor ihm wurde von der versinkenden Sonne in ein geisterhaftes, blutrotes Licht getaucht, und ein schmaler Finger aus Licht lief neben ihm über die Wand und auf etwas zu, das Dirk mit größerem Entsetzen erfüllte, als wenn ihn nach der Katze ein Tiger attackiert hätte.
Es war eine Maske. Nicht irgendeine Maske, auch nicht irgendeine afrikanische Maske, die der rote Lichtfinger jetzt flackernd erreichte, sondern ein ganz seltenes Stück, eine schwarzweiße Maske, die aus dem Herzen Afrikas stammte, aus einem Ort, den Kinah mystisch genannt hatte.
Rastalocke prallte gegen ihn.
»Warum gehen Sie nicht weiter?«
»Weil …« Dirk verstummte und streckte die Hand nach der Maske aus. Die linke Seite war weiß, die rechte schwarz – Yin und Yang, oder wie immer das afrikanische Pendant dazu hieß. »… ich meine … diese Maske!«
»Schwarzafrika, ohne Zweifel«, sagte Biermann, der plötzlich neben ihm stand. »Das hat nichts mit der marokkanischen Kultur zu tun.« Er sah Dirk aus den Augenwinkeln an. »Ihre Frau interessiert sich doch sehr für ihre ursprüngliche Kultur. Sammelt sie solche Masken?«
Dirk nickte. Der Lichtfinger glitt über die schwarze Seite der Maske, zitterte dann über die andere, helle Seite und ließ sie wie von innen heraus rot aufleuchten.
»Ja, sie sammelt Masken. Aber das ist noch nicht alles.« Er holte tief Luft. »Genau die gleiche Maske hängt auch in unserem Haus in München.«
Kapitel 7
Ein markerschütternder Schrei ließ Dirk herumfahren. Es war Janette. Sie hatte eine Tür geöffnet und den Kopf in den Raum dahinter gesteckt – besser gesagt in den Treppenverschlag, der sich vor ihr auftat, wie Dirk erkannte, nachdem er zu ihr geeilt war.
»Was ist los?«, fragte er.
»Ich …« Janette deutete nach unten. »Dort war jemand. Und da … ist … überall Blut …«
Es war nicht der Widerschein der untergehenden Sonne, der die ersten Stufen rot färbte, es waren Blutspritzer, und ein Stück weiter unten schimmerte eine frische Blutlache. Kinah. Sie war in Gefahr. Jemand hatte ihr etwas angetan.
Dirk stieß Janette unsanft beiseite und hastete die enge Holzstiege hinab. Als sie scharf nach rechts bog, hüllte ihn auf einmal eine watteartige Dunkelheit ein – und ein Gestank, vor dem er bei jeder anderen Gelegenheit geflüchtet wäre. Irgendwo tropfte etwas.
Kinah, die von einem Perversen gefesselt worden war und aus zahlreichen Messerschnitten blutete, sodass sich zu ihren Füßen eine riesige Lache gebildet hatte, und die ganze Zeit über das schreckliche Geräusch des tropfenden Blutes … Eine fürchterliche Vision blitzte in seinem Gehirn auf, die Vorstellung, dass er nur wenige Minuten zu spät gekommen war, dass der Zwischenfall auf der Küstenstraße seine Ankunft um genau die Zeitspanne verzögert hatte, die ausgereicht hätte, um sie zu retten.
»Ein Keller? In einem marokkanischen Bungalow am Meer?«, hörte er Biermann oben im Flur sagen. »Was soll das denn?«
Dirk streckte die Hand vor und tastete sich vorsichtig weiter. Der Gestank wurde immer schlimmer, die Luft roch modrig, süßlich und auf schwer zu beschreibende Art erstickend, als verkleistere sie seine Atemwege. Dirk versuchte, so flach wie möglich zu atmen, aber es half nichts. Am Ende der Treppe trat er mit dem Fuß gegen irgendetwas, das scheppernd davonrollte.
»Seien Sie vorsichtig, Gallwynd!«, rief Biermann. »Auf der Kellertreppe scheint tatsächlich Blut zu sein.«
»Ja.« Nun stieß Dirks Kopf gegen etwas, das von der Decke hing und auf die Berührung mit einem raschelnden Laut reagierte, als sei es lebendig und erschrocken zurückgezuckt. Hätte nicht die Angst um Kinah ihn angetrieben, Dirk wäre wohl endgültig umgekehrt und nach oben gehetzt, um die Tür hinter sich zuzuwerfen und den Gestank und die Vorstellung
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