Sturm: Roman (German Edition)
war kein Sturz in freiem Fall, Steine und aller möglicher Dreck umgaben ihn und wurden mit ihm in die Tiefe gerissen, und dann schlug er auf, so hart, dass es ihm die Beine zusammenstauchte und er um ein Haar endgültig das Gleichgewicht verloren hätte und gestürzt wäre.
Er schrie auf, lauter und verzweifelter als je zuvor in seinem Leben. Akuyi war zum Greifen nah gewesen! Und jetzt stand er hier, drei oder vier Meter unter ihr, in einem modrigen Loch, das nur schwach von einem merkwürdig fluoreszierenden Schein erleuchtet wurde – und von dem spärlichen Licht, das durch die neu geschaffene Öffnung zu ihm drang. Sein Blick schweifte langsam über seine Umgebung. Um ihn herum befanden sich keine Felsen und Grate, an denen er hätte emporklettern können, und auch sonst nichts, was ihm ermöglicht hätte, aus dem Gefängnis zu entkommen, in das er durch seine eigene Unachtsamkeit geraten war.
Und die Ratte hing immer noch an seiner Hand. Dieses verfluchte, teuflische Biest!
Dirk torkelte los. Seine Augen hatten sich noch nicht auf das diffuse Licht eingestellt, seine Beine waren kaum in der Lage, sein Gewicht zu tragen, aber er sah etwas, das sein Herz wild pochen ließ. Einen Stalagmiten, der aus dem Boden wuchs wie ein zu dick geratener Speer, den jemand vor unendlich langer Zeit hier in den Untergrund gerammt hatte. Er kam überhaupt nicht auf die Idee, sich zu fragen, was ein Stalagmit hier zu suchen hatte, etwas, das in Kalksteinhöhlen beheimatet war, nicht in Grotten, die von Meerwasser umspült wurden. Er hatte eine ganz andere Idee.
Er holte mit dem rechten Arm aus und schlug die Ratte mit voller Kraft gegen den Stalagmiten. Das Vieh zappelte wie wild und löste seine widerlich scharfen Zähne ein Stück weit aus seinem Fleisch. Aber es reagierte nicht schnell genug, hatte sein Gebiss zu tief in seiner Hand vergraben, und da holte er schon erneut aus, noch weiter als beim ersten Mal, mit seiner ganzen Abscheu vor Ratten, mit all seiner Wut darüber, dass dieses Mistvieh ihn abgelenkt und auf diese Weise verhindert hatte, dass er zu Akuyi gelangte.
Die Ratte quiekte und zog ihre Zähne aus seiner Hand, aber es war zu spät. Nur einen Sekundenbruchteil später schleuderte Dirk sie gegen den Stalagmiten.
Als der Kopf der Ratte zerschmetterte, spritzten Blut, Augen und Gehirnmasse hervor und besudelten Dirk. Er registrierte es kaum. Wimmernd brach er zusammen, direkt neben dem zerschlagenen Körper der Ratte, die in ihrem eigenen Blut lag und sich in den letzten Zuckungen wand.
Akuyi. Sie war so nah gewesen. Aber er hatte es versaut!
Kapitel 11
Dirk knallte seinen Cappuccino so wuchtig auf den Tisch, dass es klirrte, und starrte sein Gegenüber finster an. »Also«, sagte er. »Wenn du irgendeine Idee hast, wie wir Akuyi finden können, dann raus damit. Aber ein bisschen plötzlich!«
Mario Sabrino fuhr sich nervös durch die gegelten Haare. »Ich habe nicht gesagt, dass ich eine Idee habe, wie wir sie finden können …«
»Schwall hier nicht rum. Wenn du etwas weißt, dann spuck's aus!«
Mario biss sich auf die Unterlippe, eine Geste, die so typisch für den Deutschitaliener war wie seine Vorliebe für schnelle Autos und gertenschlanke blonde Frauen – was ihn allerdings nicht daran gehindert hatte, ein schwarzhaariges Pummelchen zu heiraten, das mit einem alten Fiat Punto durch die Gegend kurvte.
»Deine Tochter«, sagte er langsam, »ist ziemlich … dunkelhäutig.«
»Schwarz.« Dirk begann, über die Narbe an seinem rechten Handgelenk zu kratzen. »Schwarz ist das richtige Wort.«
»Ja.« Mario lächelte knapp, ein Lächeln, das ungefähr so echt wirkte wie die Haarfarbe der Blondine, mit der er vor ein paar Tagen Arm in Arm über den Stachus geschlendert war, ohne zu ahnen, dass sein ältester Freund gerade mit der Rolltreppe vom S-Bahnhof hochfuhr und ihn sah. »Du bist in den letzten Tagen fast immer unterwegs gewesen, um eine Spur zu finden. Und ich … ich hab mich währenddessen im Internet schlaugemacht.«
»Vertauschte Rollen, meinst du?«
»Ja, könnte man so sagen.«
»Verdammt!« Dirk beugte sich vor. Er hätte Mario am liebsten gepackt und durchgeschüttelt. »Jetzt sag mir endlich, was du weißt!«
»Eigentlich gar nichts.« Mario wehrte mit einer erschrockenen Handbewegung ab, als er das Funkeln in Dirks Augen bemerkte und richtig deutete. »Es ist nur so … Es gibt da einen Mädchenhändlerring.« Er stieß einen tiefen Seufzer aus. »Etwas wirklich Fieses.« Dirk
Weitere Kostenlose Bücher