Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturm: Roman (German Edition)

Sturm: Roman (German Edition)

Titel: Sturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
und jetzt nicht aus ihren Klauen ließ. Sein Leben lang hatte er recht erfolgreich einen Bogen um alles gemacht, was zu einer Sucht ausarten konnte. Und dann, ausgerechnet in der Zeit, in der es darauf ankam, einen klaren Kopf zu behalten, hatte er mit dem Saufen angefangen. Vielleicht war seine Sauferei ja auch schuld daran, dass Akuyi überhaupt verschwunden war. Vielleicht hatte er sie damit aus dem Haus getrieben, in die Arme ihrer Entführer.
    Voller Scham erinnerte er sich daran, wie er einmal auf der Suche nach irgendetwas Trinkbarem von der Küche ins Wohnzimmer gestolpert war. »Akuyi!«, hatte er gebrüllt. »Wo bist du, verdammt noch mal?! Wo hast du meine Flaschen versteckt?«
    Abschaum, das war er gewesen, nichts als Abschaum. Er hatte seine Tochter beschimpft, weil sie all seinen Schnaps und Wein in den Abfluss geschüttet hatte, sodass es aus der Spüle stank wie aus einem Müllschlucker. Sie hatte die leeren Flaschen sogar in einem Altglascontainer entsorgt. Er war nahe daran gewesen, sie zu packen und zu schütteln, vielleicht auch Schlimmeres. Akuyi hatte ihm mit schreckgeweiteten Augen gegenübergestanden, fassungslos angesichts seiner Unbeherrschtheit, und als er sie in die Ecke zwischen Schrank und Couch gedrängt und hysterisch angeschrien hatte, hatte sie vor Angst gezittert.
    Schon damals hatte er Akuyi verloren, nicht erst zwei Jahre später. Er hatte es zwar vermieden, in ihrer Gegenwart jemals wieder einen Tropfen zu trinken, war dem Götzen Alkohol aber längst rettungslos verfallen gewesen. Und Akuyi hatte das gespürt. Sie hatte gewusst, dass er sich nur ihretwillen zurückhielt, und das hatte zwischen ihnen beiden etwas verändert, hatte ihre sowieso schon angespannte Vater-Tochter-Beziehung langsam und schleichend vergiftet.
    Doch das war unwichtig, zumindest im Moment. Dirk musste einen Weg nach oben finden, zurück zu der Stelle, an der er Akuyis dünne, fast abgemagert wirkende Gestalt zum letzten Mal gesehen hatte. In dieser verdammten Höhle mit ihrem grünlichen Licht und den schroffen Felswänden war allerdings weder Eingang noch Ausgang zu erkennen und auch nichts, woran man hätte hochklettern können. Er hätte viel darum gegeben, in diesem Moment Mario anrufen und ihn um Details anbetteln zu können, um Informationen über das, was er damals nicht hatte wahrhaben wollen. Damals hatten sie das Straßencafé verlassen und ihr Gespräch in seinem Wohnzimmer fortgesetzt, aber es hatte mit einem heftigen Streit geendet, einem Streit, der, wenn Dirk ehrlich war, von ihm provoziert und auf die Spitze getrieben worden war. Statt sich die Seiten anzusehen, die mit dem Foto der Grotte verknüpft waren, statt Mario zu glauben, dass es auch englischsprachige Texte gab, nicht nur russische und arabische, hatte er ihn nur beschimpft und fertiggemacht.
    »Aber was soll man schon von einem Typ halten, der seine Frau ständig mit irgendwelchen Modepüppchen betrügt«, hatte er schließlich gefaucht. »Zu tiefen Gefühlen bist du doch gar nicht fähig. Und was ein Vater empfindet, dessen Tochter verschwunden ist, weißt du erst recht nicht.«
    Mario war blass geworden und fast fluchtartig aus dem Haus gestürmt.
    Es war nicht richtig gewesen, seinen Freund derart zu beleidigen, schließlich hatte er alles getan, um ihm zu helfen.
    Aber ein noch viel schlimmerer Fehler war es gewesen, den Inhalt der Website nicht aufmerksam zu studieren. Wenn er damals nur besser aufgepasst hätte! Dann würde er jetzt vielleicht wissen, wie man hier rauskam …
    An diesem Punkt verhedderten sich seine Gedanken. Und nicht nur das, auch sein Körper machte nicht mehr mit, gehorchte nicht dem Befehl, auf der Suche nach einem Weg aus der Höhle vorwärts zu taumeln. Seine Schritte wurden immer schwerer, und er begann so unkontrolliert zu torkeln wie ein Betrunkener, der sich nicht auf den Beinen halten kann. Sein Arm brannte wie Feuer, und in seinem Inneren tobte ein Sturm der Gefühle. Er konnte die Szene mit Mario einfach nicht vergessen, er sah seinen Freund vor sich, der wütend und enttäuscht davonstürzte, und dann auf einmal Kinah, die ihm zuzischte: »Du musst deiner Tochter gestatten, sich mit ihren Wurzeln zu beschäftigen!«, und er sah, wie die Wände der Grotte vor ihm zurückwichen und wieder auf ihn zukamen, in einem Rhythmus, der dem seines eigenen, hektischen Atems entsprach.
    Dirk blieb stehen und presste die Hände gegen seinen Kopf. Es half nichts. Sein Herz hämmerte wie eine Maschine, die

Weitere Kostenlose Bücher