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Sturm über Freistatt

Titel: Sturm über Freistatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Asprin
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gehabt: den Tempel und die Priester von Anen Weingesicht, dem Erntegott und Hüter der Reben und des Getreides; und auf der anderen Seite Tempel und Priester von Anens Gefährtin, Dene Schwarzgewand, der düsteren Herrin des Schlafes und des Todes. Zwischen Anens poliertem Sandstein und Denes dunklem Granit hatte sich Sivenis Tempel in seinem Weiß und Gold erhoben. Es war eine gute Anordnung der Tempel gewesen; Arbeit und Wein und Schlaf. Und Sivenis Tempel, wie es sich für eine Göttin des Handwerks schickte, hatte auf das Gildenviertel geblickt. Geschäftsleute schlossen einst ihre Handel auf der breiten Freitreppe; sie entrichteten ein oder zwei Münzen, um sich ihres Glücks zu versichern, und brachten Sivenis Raben Kuchen mit. Dann begaben sie sich nebenan, zu Anen, um die Geschäfte mit einem Trankopfer zu besiegeln. Mit einem bescheidenen gewöhnlich, denn Anens Wein war zu gut, ihn auf den Boden zu schütten.
    Doch diese Zeit war vorbei. Anens Tempel stand dunkel, von einem einsamen roten Licht über dem Altar abgesehen; die jährliche Pfründe seiner Priester war auf so gut wie nichts geschrumpft; und seine alten Anhänger, die wußten, daß dieser Gott nicht mehr in Gnade stand, vergossen ihre Trankopfer anderswo. Und der Tempel Denes – die die Rankaner vermutlich für zu beschaulich (oder unwichtig) hielten, sich näher um sie zu kümmern – war abgerissen worden, und nun stritten sich Kaufleute und Handwerker um das freie Grundstück.
    Und Sivenis Tempel … Harran stand auf der anderen Straßenseite in der Dunkelheit des verschlossenen Eingangs eines Geschäfts. Am liebsten hätte er geweint. Die schönen weißen Säulen verschmiert, die hellen Marmorstufen der Freitreppe gebrochen, fleckig und voll Abfall … Bedächtig blies ein kalter Wind durch die Tempelallee zu Ils’ Heiligtum, das nicht deutlicher zu sehen war als der Mond hinter den Wolken. Daneben streckte sich Savankalas, des neuen, rankanischen Gottes Tempel dem Himmel entgegen, und gleich daneben der eines anderen rankanisches Gottes – beides große, häßlich anzusehende Bauten, und heute so dunkel wie Ils’. Niemand hielt sich auf der Straße auf. Die Stunde der Andacht war längst vorüber.
    Harran verhielt sich noch lange ganz still in dem Eingang, denn er vermochte sich des Gefühls nicht zu erwehren, daß jemand ihm gefolgt war. Die Gongs des Ilstempels schlugen die dritte Stunde nach Mitternacht. Im Wind zitterte ihr Klang, den er die Allee entlang zum Statthalterpalast und den Landhäusern dahinter trug, wie Harrans Herz. Etwas hörte sich wie das Klatschen einer sturmgepeitschten Fahne an. Harran zuckte zusammen und schaute sich hastig um. Doch nichts war zu sehen, außer schattenhaft ein großer Vogel, dem der Gegenwind sichtlich zu schaffen machte, bis er sich schließlich auf der hohen Kuppel von Sivenis Tempel niederließ und zu einem weiteren Schatten unter jenen der Skulpturen dort oben wurde. Ein schwarzer Vogel war es, größer als eine Krähe …
    Harran schluckte, wappnete sich, schaute die Straße auf und ab, ehe er zur andern Seite eilte. Die Gewalt des Windes, als er die Mitte der Allee erreichte, war unheildrohend. Wenn es eine Nacht gab, in der man besser im Bett bleiben sollte, dann diese …
    Er hastete die Treppe hinauf, auf der er oft in Beschaulichkeit gestanden hatte, dabei stolperte er so manches Mal über ein Steinstück, das sich gelöst hatte, oder über einen Riß, den es an der Stelle nicht gegeben hatte, als er noch ein Knabe und Jüngling war. An der Säulenhalle angekommen, blieb er kurz stehen, um Luft zu holen und den Weg zurückzublicken, den er gekommen war. Nichts rührte sich, die Straße war leer …
    Doch aus den Augenwinkeln nahm er eine Bewegung wahr, nicht auf der Straße, sondern nebenan auf dem furchigen Grundstück, das alles war, was von Denes Tempel übrig war. Harran tastete nach dem langen Dolch unter seinem Umhang.
    Die hellen Steine von Sivenis Freitreppe spiegelten sich in einem Augenpaar. Blinzelnd starrte Harran auf die größte Ratte, die er je in Freistatt oder sonstwo gesehen hatte. Sie war mindestens von der Größe eines Hundes. Er erschauderte bei dem Gedanken, daß Tyr mit ihr zu tun bekäme. Als fühlte sie Harrans Angst, drehte die Ratte sich um und kehrte auf das leere Grundstück zurück, um dort ihren nächtlichen Streifzug fortzusetzen. Andere Schatten, nicht kleiner, regten sich ungerührt zwischen den Säulen des Portikus.
    Harran schluckte und dachte an

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