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Sturm über Freistatt

Titel: Sturm über Freistatt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Asprin
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merkwürdige Unsicherheit in ihm, die wuchs, als Harran begann, die erforderlichen Runen und Worte in die Winkel des Musters zu zeichnen. Danach kam das Salz, das er mit dem üblichen Reinigungsvers in die Haupthimmelsrichtungen warf: und die Weizenkörner – zwei an den ersten Punkt, vier an den nächsten, acht an den übernächsten und so weiter bei allen sieben. Harran lachte leise, benommen vor Aufregung. Über dieses Symbol des Überflusses hatten die Lernpriester sich immer amüsiert; für ein Muster mit vierundsechzig Punkten hätte man die Getreidespeicher der ganzen Welt leeren müssen. Nun blieben nur noch der Wein, das Messer, die Alraune, die Hand …
    Der Wind jaulte durch die Säulen des Portikus wie ein Hund, der Einlaß begehrte. Harran fröstelte. Es ist kalt, dachte er, dann schluckte er wieder und widerrief den Gedanken, während der Durchführung eines Zaubers zu lügen, mochte sich als tödlich erweisen. Er trat in die Mitte des Diagramms und spürte beim Überschreiten kleine, unangenehme Stöße der Macht. Außer seinen waren heute nacht Kräfte am Werk, die seiner Beschwörung übernatürliche Macht verliehen.
    Um so besser, dachte er. Er öffnete die Weinflasche und stellte sie neben den Mittelpunkt, dann steckte er die Rechte in eine seiner Taschen, und die Alraune in die andere. In der Linken hielt er die Schriftrolle so, daß er die richtige Stelle vor den Augen hatte. Mit der Rechten zog er nun das Messer.
    Es war sein bestes, das Mriga am liebsten hatte. Er hatte es ihr am Nachmittag zum Schleifen gegeben und es ihr lange nicht abgenommen. Jetzt fing seine Schneide das schwache Laternenlicht mit einem Glitzern, so lebendig wie ein Auge. Er hob es zum Gruß an die vier Richtungen und ihre Hüter über und unter der Erde, dann blickte er gen Norden und begann den ersten Teil des Zaubers zu sprechen.
    Sofort setzte Widerstand ein. Es wurde zur Anstrengung, die Worte aus der Kehle zu stoßen, seine Zunge fühlte sich bleiern an. Trotzdem sprach Harran die Worte, allerdings kamen sie immer langsamer. Aber mitten im Zauber anzuhalten, konnte sich so tödlich wie Lügen erweisen. Der Wind draußen hob sich zu einem Kreischen, das seine Stimme übertönte. Jedes Wort kostete ihn unvorstellbare Mühe, und zwischen den einzelnen holte er rasselnd Luft. Nie hätte Harran gedacht, daß fünfzig Wörter, ein paar Sätze, zu sprechen, wie eine Ewigkeit erscheinen konnte. Doch genauso war es jetzt. Zehn Worte blieben noch. Jedes erschien ihm nun so lang wie ein Gesetzbuch und so schwer wie Stein. Beim fünften stammelte er, und draußen schrillte der Wind, als stieße ein Wahnsinniger einen Triumphschrei aus. In schrecklicher Furcht würgte er zwei Wörter rasch hinaus, eines nach dem andern. Das vorletzte kam langsamer, so mühsam, als reiche man einen Felsbrocken weiter. Und das letzte hörte sich an, als nähme das Leben Abschied von ihm, und es drückte ihn zu Boden.
    Als er fiel, drang blendendes Licht durch die hohen schmalen Fenster. Ein Blitz zerriß den Himmel, und der Donner, der ihm folgte, rüttelte die Dächer von Freistatt – und brach das wenige unversehrte Glas der Tempelfenster, daß es in scharfen Splittern auf den Boden prasselte. Stille setzte wieder ein. Harran lag auf dem Gesicht, er spürte Marmor und Erdpech auf seiner Zunge, roch Ozon und hörte das Klirren der letzten Splitter des Glashagels.
    Ich glaube, es wirkt …
    Harran hob sich auf die Knie und tastete mit bebenden Fingern um sich, bis er das Messer fand, das ihm entglitten war. Dann holte er die Knochenhand aus der Tasche und legte sie auf den Mittelpunkt des Diagramms, mit der Handfläche nach oben. Die ausgestreckten Finger, der Zeige- und Mittelfinger, deuteten gen Norden, die anderen waren zum Handteller gekrümmt, der Daumen gen Osten gerichtet. Dann begann Harran den zweiten Teil des Zauberspruchs.
    Während er las – langsam und auf die Aussprache achtend –, spürte er Augen auf sich, neugierige Augen, leicht verärgert, ein bißchen hungrig und bereit, auf etwas zu warten.
    Die Zahl der Augen wuchs. Harrans Worte hörten sich nun laut wie Donnerschläge an, und sein angestrengter Atem lauter als jeder Wind. Und die Augen wurden immer mehr. Zwar konnte er sie nicht sehen. Wohl aber vermochte er sie zu spüren: eine hungrige Meute, eine feindselige Menge, die mit jedem Atemzug anschwoll und wartete und ihn beobachtete. Und als die Stille so abgrundtief wurde, daß er es nicht mehr aushielt, erklang ein

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