Sturm über Hatton Manor
Moment war ihr klar, dass ihr das Essen nicht schmecken würde, obwohl sie so hungrig war. Mit zittriger Hand schloss sie die Kühlschranktür wieder.
“Ich habe es mir anders überlegt”, erklärte sie. “Ich habe keinen Hunger.”
Sein verständnisloser Blick hätte sie unter anderen Umständen amüsiert. Als sie jedoch zur Tür ging, wich der Ausdruck in seinen Augen unverhohlenem Zorn, und Nash versperrte ihr den Weg.
“Ich weiß nicht, welche Spielchen du mit mir treibst …”, begann er gefährlich leise.
Faith spürte, wie sie die Beherrschung zu verlieren drohte. Es war ein langer, anstrengender Tag gewesen. Zuerst war sie in Hochstimmung und furchtbar stolz gewesen, weil Robert sie mit einem so wichtigen Projekt betraut hatte, und dann schockiert und wie betäubt, als sie unerwartet Nash gegenüberstand. Anschließend waren schmerzliche Erinnerungen wach geworden – ganz abgesehen von den Empfindungen, die sie verspürt hatte, als Nash sie küsste.
“
Ich
bin nicht diejenige, die Spielchen treibt”, entgegnete sie heftig und mit bebender Stimme. “Du bist derjenige, der das tut, Nash. Warum bist du hierhergekommen? Warum
wohnst
du hier? Das gehörte nicht zu der Abmachung, die Robert mit den Treuhändern getroffen hatte.”
“Dafür, dass du noch nicht so lange für ihn arbeitest, scheinst du ja eine Menge über seine Tätigkeit zu wissen”, bemerkte er lässig. Vermutlich merkte er, dass sie sich trotz ihres unverhohlenen Zorns sehr verletzlich fühlte. “Aber du bist ja nicht nur seine Angestellte, stimmt’s, Faith? Warum, zum Teufel, bin ich denn deiner Meinung nach hier?”, fuhr er in einem ganz anderen Tonfall fort. “Glaubst du wirklich, ich hätte dich allein hier wohnen lassen, nachdem ich erfahren hatte, dass du hier sein wirst? In diesem Haus gibt es unzählige architektonische Kostbarkeiten – Vertäfelungen, Holzverkleidungen, Kamine, um nur einige Dinge zu nennen. Man könnte Tausende von Pfund damit verdienen, wenn man sie ausbauen und an irgendeinen skrupellosen Bauunternehmer verkaufen würde, der nicht nach ihrer Herkunft fragt.”
Faith wusste, dass es stimmte. Allerdings war sie entsetzt darüber, dass er sie einer solchen Tat für fähig hielt. Bevor sie sich verteidigen konnte, griff er sie wieder an, diesmal jedoch auf eine andere Weise.
“Na, willst du Robert erzählen, dass du mich gebeten hast, dich zu küssen?”, fragte er trügerisch sanft.
“Was? Das … das habe ich nicht getan”, widersprach sie energisch und errötete vor Zorn.
“Lügnerin”, neckte er sie. “‘Küss mich’, hast du gesagt.” Verächtlich verzog er den Mund. “Obwohl es natürlich typisch für dich ist, dass du es abstreitest.”
Faith errötete beschämt, als sie sich daran erinnerte, dass sie es tatsächlich
gedacht
hatte. Sie hatte es doch hoffentlich nicht ausgesprochen? Aber es musste so sein – es sei denn, Nash hatte ihre Gedanken gelesen, was sie ihm durchaus zutraute.
“Als Nächstes tust du wahrscheinlich so, als hätte es dir keinen Spaß gemacht”, fügte er ironisch hinzu.
Nun hatte sie wirklich genug.
“Das hat es auch nicht”, erwiderte sie ausdruckslos.
“Ach nein? Na, es gibt eine sichere Methode, zu beweisen, ob du die Wahrheit sagst oder nicht, stimmt’s?”, konterte er.
Er betrachtete sie wie ein hungriger Löwe seine Beute, und sie wünschte, sie hätte sich nie auf diesen Schlagabtausch mit ihm eingelassen, weil er das letzte Wort haben würde.
“Zum Glück gibt es in Hatton House keine Folterkammer”, bemerkte Faith spöttisch.
“Ich brauche keine Folterkammer, um dich als Lügnerin zu entlarven”, meinte Nash lässig. “Nur das hier …”
Ungläubig blickte sie ihn an, als er sie an sich zog und den Kopf neigte. Sie presste die Lippen zusammen und funkelte ihn verächtlich an, um ihm zu verstehen zu geben, dass er es ja nicht wagen sollte, sie zu küssen.
“Mach den Mund auf”, befahl er ungerührt, ohne sich darum zu kümmern, dass sie aufgebracht und völlig verspannt war. “Mach den Mund auf, Faith”, wiederholte er und strich dann mit der Zungenspitze über ihre Lippen.
Diese intime Geste brachte sie so aus der Fassung, dass sie ihre Wut vergaß und sich stattdessen auf die Gefühle konzentrierte, die er in ihr weckte. Wenn sie die Augen schloss, wurden die Empfindungen noch intensiver, und das war sicher auch der Grund dafür, dass sie verräterisch zu beben begann, wie ein junges Mädchen, das zum ersten Mal geküsst
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