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Sturm ueber Thedra

Sturm ueber Thedra

Titel: Sturm ueber Thedra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Stuhr
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den Staub von dem schweren Deckel der uralten Truhe blies und die Öllampe näher rückte.
    Ohne den geringsten Laut ließ der Deckel sich anheben. Jamik kniff die Augenlider zu Schlitzen zusammen und sog die Luft tief ein. - Wieder einmal machte sich der Unterschied zwischen erzählter oder gelesener Überlieferung und dem unmittelbaren Erleben bemerkbar.
    Jamik hatte gewußt, dass er Kristalle vorfinden würde. - Riesenkristalle von höchster Reinheit und Vollkommenheit. - Aber dass sie so groß, so rein und so vollkommen sein würden, das hatte er nicht gedacht.
    Vorsichtig, fast ehrfürchtig, berührte er den größten Stein, der auf einer Granitplatte in der Mitte eines Kreises von sieben kleineren Kristallen stand. Er ließ sich erwartungsgemäß nicht bewegen, obwohl keine Befestigung zu erkennen war. Es war, als seien die transparenten Gebilde von der Größe einer Kinderfaust direkt aus dem Stein gewachsen.
    Mit behutsamen Bewegungen nahm Jamik eine kupferne Spange aus einer Halterung im Deckel der Truhe. Der dünne Metallstab war vielfach kunstvoll gebogen und an seinem unteren Ende geformt wie die zugreifende Kralle eines Raubvogels. Mit sanftem Druck setzte Jamik das Gerät auf die Spitze des großen Kristalls und bewegte es leicht hin und her. Mit einem deutlichen Knacken rastete das Gebilde ein, wobei nun die Kralle etwas mehr als die obere Hälfte des Kristalls umschloß.
    Als nächstes schob Jamik zwei massive Kupferstäbe mit kugelförmigen Griffen derart durch Bohrungen in der Truhenkante, dass sie direkt auf die Mitte des Kristalls zielten. Ein unangenehmes Gefühl beschlich den Magier. Er berührte diese Stäbe schon jetzt nicht gern.
    Nochmals überprüfte Jamik die Anordnung. - Das gut ellenlange Kupfergebilde auf dem Kristall war perfekt eingerastet, und die Kupferstangen im Truhenrand ließen sich leicht auf die Mitte des gut faustgroßen, facettenreichen Gebildes zu schieben.
    Das ungute Gefühl verstärkte sich. Die Kupferkugeln am Ende der Stangen fühlten sich an, als seien sie mit einer unbekannten, feindlichen Energie gefüllt, die durch die Handflächen bis in die Brust des Magiers drang.
    Mit klopfendem Herzen zog Jamik eine kleine Phiole aus einem Fach im Truhendeckel und wog sie prüfend in der Hand. Nur zu gut kannte er das unscheinbare, graue Pulver, das sich darin befand. - Aganez' Feuer! - Nach allem, was Jamik wußte, handelte es sich bei der Mischung in dem Röhrchen allerdings um eine abgeschwächte Variante, die nur langsam in Brand geriet. Jamik konnte nur hoffen, dass das auch stimmte.
    Äußerst vorsichtig zog er mit leichter Drehung den Glasstöpsel aus der Phiole, wobei er die Hände weit von sich gestreckt hielt. - Nichts geschah! - Erleichtert streute Jamik das Pulver eng an der Basis des Kristalls auf die Steinplatte. Erst als er die Hände zurückgezogen hatte, erfolgte die erste Reaktion: Ein dünner, heller Rauchfaden stieg von dem Pulverring auf, und ein stechender Geruch breitete sich schlagartig aus. Jamik wich zurück. - doch die befürchtete schnelle Verpuffung des Pulvers an der Luft blieb aus.
    Langsam und gleichmäßig geriet der Ring um den Kristall in Brand, wobei die Farbe des Feuers von Rot über Gelb bis hin zu Blau wechselte. In dem wasserklaren Stein begann es zu knistern. Je mehr der Kristall sich erhitzte, umso schneller folgten die Geräuschintervalle aufeinander, bis ein helles Singen zu hören war, das immer schriller wurde.
    Jamik sah, wie die Spitze des Kupfergebildes zu vibrieren begann. Jetzt war das Feuer unter dem Stein so heiß geworden, dass es ein reinweißes Licht ausstrahlte. Jamik schloß die Augen zu dünnen Schlitzen und hütete sich, in die Flamme zu sehen. Gleichzeitig wich er ein wenig vor der Glut zurück.
    Das Geräusch aus dem Kristall war inzwischen so hell geworden, dass Jamik es nicht mehr hören konnte, aber es war noch da. Es füllte die Luft mit seinen unhörbaren Vibrationen bis an die Grenze des Erträglichen. Es durchdrang alles, war überall, war unhörbar und mächtig zugleich. Für einen kurzen Moment spürte Jamik, wie sein Körper von diesem hohen Ton durchdrungen wurde, und aus der Waffenschmiede drangen Geräusche wie von schwingendem Stahl.
    Jetzt war es so weit: Jetzt mußten die Stäbe an den Kristall herangeführt werden. Jamik ergriff mit bloßen Händen die kugelförmigen Griffe der Kupferstangen. Das Feuer war nun auf dem Höhepunkt der Weißglut. Mehr noch: - Es schien Jamik, als strahle der Kristall

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