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Sturm ueber Thedra

Sturm ueber Thedra

Titel: Sturm ueber Thedra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Stuhr
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Gebirge zu überschreiten und Thedra von der Landseite aus anzugreifen. Volle drei Jahre hatte die kleine Armee versucht, einen gangbaren Weg über die schroffen Felsmassive zu finden, deren ewiger Schnee auf dem ganzen Kontinent sprichwörtliche Bedeutung genoß. Aber alle Versuche waren gescheitert.
    Nicht nur, dass die Gipfel der steil aufragenden Berge so hoch waren, dass sie in einer nahezu ewigen Wolkendecke verborgen blieben, es waren auch die Täler so schroff und zerklüftet, dass für den Kommandanten und seine Männer ein Vorankommen schon bald nicht mehr möglich gewesen war.
    Immer wieder geschah es auch, dass Gruppen von Spähern nicht von ihren Erkundungsgängen zurückkehrten. Mochten auch Gletscherspalten und Wetterstürze die wahre Ursache gewesen sein - für die Bergstämme, die in den Randregionen der Westlichen Berge wohnten, war klar, das die Ssirr die Soldaten geholt hatten.
    Nach dem Glauben der Bergbewohner wurden die höheren Lagen der Westlichen Berge von menschengroßen, bepelzten Flugwesen beherrscht, die angeblich ihre Opfer in die eisigen Höhen schleppten, um sich dort von dem gefrorenen Fleisch zu ernähren. Begnügten sich die Ssirr normalerweise mit Ziegen und Steinböcken, so waren sie doch auch nicht abgeneigt, Jagd auf menschliche Eindringlinge zu machen, die dann aber nicht verzehrt, sondern als Trophäe auf die Heimatgipfel verschleppt wurden. Die Bergdörfer waren voll von Leuten, deren Vater, Großvater oder Onkel von den Ssirr verschleppt worden waren und die sich mit knapper Not vom Gipfel dieses oder jenes Berges hatte retten können.
    Der Kommandant der Strafexpedition war zwar der Meinung gewesen, die betreffenden Männer hätten sich eher mit knapper Not aus dem Bett einer schönen Nachbarin gerettet und eine passende Ausrede gebraucht, aber auf die Dauer untergruben die Geschichten der Bergbewohner die Moral seiner Truppe doch erheblich. - Schließlich hatte niemand Lust, als Trophäe eines Ssirr auf dessen Heimatgipfel ausgestellt zu werden.
    Gleichviel, ob nun die Ssirr die Spähtrupps geholt hatten, oder ob es einfach die Wetterverhältnisse waren, die die Westlichen Berge unüberwindlich machten - unüberwindlich waren sie allemal! Nach drei Jahren ergebnisloser Versuche gab der Kommandeur es auf und kehrte geschlagen in die Kaiserstadt zurück, obwohl seine Truppe nicht einen einzigen Thedraner zu Gesicht bekommen hatte.
    Auf der anderen, der estadorianischen Seite des Gebirges sah es kaum anders aus. In einem nur langsam flacher werdenden, die ganze Breite Estadors einnehmenden, gewaltigen Verwerfungssystem zog sich das Große Gebirge weit in das Land hinein. Immer neue Ketten aufgetürmter Gesteinsschollen stellten sich dem Wanderer in den Weg, der von estadorianischer Seite zum Fuß des großen Gebirges vordringen wollte, und auch hier gab es Legenden von wilden Bestien, die auf den Kämmen des großen Gebirges lauerten, um verirrte Tiere und Hirten zu entführen und zu verzehren.
    Nun stammten einige Verbannte der Urbevölkerung auch aus der Region, die direkt jenseits des Großen Gebirges lag, und so tauchten in ihren Erzählungen natürlich auch die geflügelten Ssirr auf.
    Darüber hinaus eignete sich das schroffe, unbewohnbare Grenzland aber auch hervorragend zur Ansiedlung von Geistern und Fabelwesen aller anderer Kulturen des Kontinents. Die Vielfalt der thedranischen Urkultur hatte hier eine ebenso große Vielfalt des Aberglaubens hervorgebracht, und so lauerten unter der Dunstdecke der Gipfel nicht nur die Ssirr, sondern unter anderem auch Riesensprungschlangen aus dem großen Erf, die sich aus Felsspalten auf ihre Opfer schnellten, Riesenpanzerkrebse, die sich als Felsplatten tarnten, sowie eine besonders große, weißpelzige Abart der Waldteufel von Gasca.
    Die Frage, wo bei diesem hektischen Durcheinandergelaufe, -gespringe und -gefliege auf den Gipfeln denn wohl ausreichend Nahrung herkommen solle, wurde von den Bewohnern der Bergstadt Stein, der letzten Bastion Estadors im Nordosten, damit beantwortet, dass die Ungeheuer sich ohne Frage gegenseitig niedermachten; und wirklich leuchteten an klaren Tagen, besonders bei Sonnenuntergang, die schroffen Hänge des Großen Gebirges blutrot auf, was ohne Zweifel darauf schließen ließ, dass wieder einmal eine Metzelei im Gange war.
    Nein, das Große Gebirge war kein Ort, zu dem man freiwillig ging. Es gab dort nichts hinzubringen und auch nichts zu holen. Der Weg durch die Berge war unpassierbar, und

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