Sturm ueber Thedra
Haus!' hieß ein thedranisches Sprichwort. Also bekamen die Fremden überhaupt nichts. Jedermann in Thedra fand diese Lösung gut und richtig. Nur Tana und Gerit, die durch ihre Lossagung plötzlich selbst zu Fremden geworden waren, behagte das Verfahren plötzlich nicht mehr so ganz.
Unruhig wälzte sich Tana auf ihrer Decke hin und her. "Hier stinkt es", stellte sie schließlich fest.
"Wir werden morgen meine Mutter besuchen. Bestimmt dürfen wir uns bei ihr waschen", versuchte Gerit sie zu trösten.
Teri fand die mangelnde Sauberkeit halb so schlimm. Viel mehr Sorgen machte ihr der Kranke in seiner Ecke. Was, wenn er mitten in der Nacht aufstand und mit schwachen Schritten zu Teris Lager kam und sich über sie beugte? Wenn er sie berührte? Teri wurde es bei dem bloßen Gedanken schon übel vor Angst. Sie wollte nicht krank werden, nicht zum Sterben zurückgelassen werden, wie dieser Unglückliche, dessen Gesicht sie nicht einmal gesehen hatte.
"Tana?" Teri hielt es nicht mehr aus.
"Ja?" Tana streckte die Hand aus und berührte Teris Arm.
"Wenn einer von uns unterwegs krank wird ..."
"Ja, was dann?"
"Müssen wir ihn dann auch zurücklassen?"
"Nein, Teri. Wir lassen ganz bestimmt niemanden zurück. - Ganz bestimmt nicht!"
"Gerit?"
"Was ist?", brummte Gerits Stimme erstaunlich nahe an Tanas Kopf.
"Stimmt das? Wir würden doch nie jemanden zurücklassen, oder?"
"Dummes Zeug!", knurrte Gerit unwillig. "Wir gehören zusammen. Für jetzt und immer!"
"Für jetzt und immer", wiederholte Tana und drückte Teri sanft die Schulter.
"Für jetzt und immer", flüsterte auch Teri und rollte sich zufrieden zum Schlafen zusammen.
Auch als es neben ihr ein wenig unruhig wurde, ließ Teri sich nicht vom Einschlafen abhalten. Gerit war oft genug in Tanas Höhle gewesen, da sie in Gerits Gemeinschaftsunterkunft nicht ungestört sein konnten. Teri kannte die Spiele der Erwachsenen. - Jedenfalls so weit die Bewegungen der Decke es erahnen ließen. Teri fand derlei Dinge nur mäßig interessant und schloß endgültig die Augen, nachdem sie die beiden unter halbgeschlossenen Lidern hervor ein wenig beobachtet hatte.
Der Kranke kam in dieser Nacht natürlich doch an Teris Lager. Teri lag auf dem Rücken und konnte sich nicht bewegen, als es begann. Zuerst hörte sie ein Schaben, so wie Stoff auf Stein, das aus der finsteren Ecke drang. Teri versuchte den Kopf zu drehen, aber es wollte einfach nicht gelingen.
Angst kam sacht aus der Dunkelheit geweht und legte sich wie ein schwarzes Tuch über Teri. Jetzt hörte sie ein Keuchen. Rasselnder Atem näherte sich, brach ab, setzte näher und gieriger wieder ein. Teri wollte schreien vor Angst. Das Herz krampfte sich ihr zusammen. Sie konnte sich nicht bewegen. Sie war krank. Die Anderen würden sie zurücklassen! - Der Fenko-Baum. Gab es hier irgendwo Holz vom Fenko-Baum?
Schlurfendes Tappen war zu hören. Der Kranke kam.
Viel zu viele schabende, unsichere Schritte waren zu hören. So groß war der Raum doch überhaupt nicht. Jeden Moment mußte der Mann in Teris Gesichtsfeld auftauchen. Krampfhaft versuchte sie die Augen zu schließen, um das Entsetzliche nicht sehen zu müssen, aber nicht einmal das gelang.
Ein dunkler Schatten schob sich vor die Höhlendecke, die von der Restglut des Kochfeuers rot angestrahlt wurde. Jetzt beugte der Schatten sich zu Teri herab. Ein blasses Oval wurde sichtbar. Ein Gesicht, an dem das Fleisch in langen Fetzen herunterhing. Ein Gesicht, das keine Augen mehr hatte. Ein Gesicht, das grausam auf Teri herablächelte.
Teri schrie, wie nie zuvor in ihrem Leben. Ihr ganzer Körper vibrierte und wand sich. - Doch kein Laut kam über ihre Lippen. Die Angst hatte ihr den Mund mit Leichenhänden verschlossen.
"Hab' doch keine Angst", sagte das Ding mit leiser, zischender Stimme. "Ich habe auch ein Geschenk für dich." Plötzlich zog es so etwas wie einen großen Fächer hinter seinem Rücken hervor und hielt ihn über Teri.
Ein Zweig des Fenko-Baums! Genau konnte Teri die gefiederten Blätter erkennen. In stummem Entsetzen lag sie da und sah zu, wie der Zweig sich langsam auf ihre Brust senkte. Größer und immer größer wurden die Blätter vor ihren Augen und fingen an, sich zu bewegen. - Aber das waren ja überhaupt keine Blätter! - Hände waren es! Kleine, knochige, dornige Skeletthände, die nach Teris Körper und Gesicht griffen. - Schon hatten sich die ersten Klauen in ihre Kleidung gekrallt, da begann das Bild langsam zu verblassen. "Es
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