Sturm ueber Thedra
grüßte Llauk die Wache, die die Stadtgrenze bewachte, und die Männer ließen ihn anstandslos passieren. Jetzt war er wirklich frei. Fröhlich pfeifend ging er über den Platz, an dem die Waren aus den Provinzen Estadors von Karren auf Träger umgeladen werden mußten.
Frei! Endlich wieder frei! Fast zweihundert Tage hatte er unter der Knechtschaft der Dramilen gelitten. - Mehr als genug! Mochte dieser Szin ihn nur suchen. Llauk war gewitzt. Er würde seine Spuren so gründlich verwischen, dass niemand ihn mehr finden konnte.
Llauk schritt weit aus. Je mehr Strecke er vor dem Morgengrauen zwischen sich und diesen verfluchten Mörder bringen konnte, umso besser. Eilig ging er in den Hohlweg, den am Tage die Karren von Estador herunterkamen. Den Weg, den er mit seinem Vater zum ersten Mal und danach noch so oft gegangen war. Noch dreitausend Schritte bis zum Scheideweg. - Nein! Er würde nicht nach Idur zurückkehren. Die Sache mit Tos eb Far konnte warten. Er würde ... Ja, was würde er tun? Llauk wurde langsamer. Wo konnte er hingehen?
Plötzlich erschien Llauk die Freiheit gar nicht mehr so erstrebenswert. - Aber dass er nicht zurückwollte, nicht zurückkonnte, war ihm klar. - Also weiter!
Llauks Hochgefühl war schon lange dahin, als es seitlich im Gebüsch raschelte. Llauks Hand fuhr zum Gürtel, wo er früher immer seinen kleinen Dolch getragen hatte. - Aber seine Hand griff natürlich ins Leere.
Obwohl Llauk durch das Geräusch gewarnt gewesen war, kam der Anprall des Dunkelgekleideten völlig überraschend für ihn. Etwas Hartes schlug so heftig in seine Magengrube, dass ihm der Atem stehenblieb. Blitzschnell tastete eine Hand nach seinem Nacken und griff brutal zu.
Llauk fühlte sich, als sei sein Körper in kochendes Metall gehüllt. Er stürzte zu Boden, wollte schreien, brachte aber keinen Ton heraus. Gelähmt und hilflos lag er auf dem Rücken und sah, wie die dunkle Gestalt sich über ihn beugte. Stahl blitzte kurz im Mondlicht auf. Llauk spürte tastende Finger - kaltes Metall - und dann versank die Welt um ihn in einem flammenden Nebel des Schmerzes.
Wenig später in der Nacht machte sich ein an Leib und Seele gebrochener Llauk wieder auf den Rückweg nach Thedra. Er hatte die Botschaft seines Herrn verstanden. Langsam und bedächtig setzte Llauk Fuß vor Fuß. Er konnte nur hoffen, dass den Stadtwachen am Passweg sein seltsamer Gang und sein durchblutetes Gewand nicht weiter auffielen.
Das war das letzte Mal gewesen, dass Llauk eine Chance gehabt hatte, sich seinen Herren zu widersetzen. Llauk stöhnte bei jedem Schritt. - Der durchstochene Hoden tat entsetzlich weh.
KAPITEL 10 - SPIONE
Zuerst im Ziel: `Abschied', `Verlust' und `Trauer'. `Glück', weit abgeschlagen hinterher.
Tigan war der Endpunkt der Reise gewesen. - Das Ziel, das Tana und Gerit gehabt hatten. Hier hatten sie die Geheimnisse der farbigen Glasuren erkunden wollen.
Tigan war der Ort, wo Teri ihre Stiefeltern zum letzten Mal sah.
"Bleibt an Bord! Geht nicht in die Stadt! Die Tiganer lieben Fremde nicht mehr!" - Der Kapitän der `Sesiol' war ganz aufgeregt. Wie üblich flatterte er um Tana und Gerit herum, wie ein magerer schwarzer Vogel. "Oh, die Tiganer, sie sind grausam! - Sie denken an Spione! - Geht nicht in die Stadt! - Ins Große Erf. - Ins Große Erf werden sie euch schicken, wenn sie euch ergreifen! - Sie erkennen euch! - Macht nicht den Fehler ... - Ausgerechnet Thedraner! - Ausgerechnet! - Vierzehn Spione sind schon im Erf! - Tausend Tagesmärsche kalter Stein! - Sie sind alle tot! - Bleibt an Bord!"
Was Tana und Gerit sich aus den Halbsätzen des Kapitäns zusammenreimten, war, dass die Tiganer in letzter Zeit vierzehn Spione aufgegriffen und ins Große Erf geschickt hatten. Das Große Erf, auch als Südliche Wüste bekannt, bot keine Überlebenschance, so dass mit Sicherheit alle umgekommen waren.
Der Kapitän machte sich also Sorgen darum, dass seine Passagiere als Thedraner erkannt und gleichfalls der Spionage bezichtigt würden. Seine Informanten hatten jedenfalls dringend davon abgeraten, die Fremden überhaupt in die Stadt gehen zu lassen.
"Ausgemachter Unsinn!" Tana war wütend. "Sind wir vielleicht ein halbes Jahr lang gereist, um jetzt aufzugeben?"
"Nein", bestätigte Gerit. "Das haben wir getan, um das Große Erf kennenzulernen."
"Du! Du, mit deiner gelassenen Art! - Du bringst mich zum Wahnsinn!" Tana stand breitbeinig vor Gerit und stemmte die Hände in die Hüften. "Wenn es nach dir ginge,
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