Sturm ueber Thedra
unangefochten bis Inchin, der Hauptstadt von Inchinem, dem Seidenland.
Die Inchinem waren freundliche und geschäftstüchtige Leute. Sie waren hocherfreut gewesen, andere Handelspartner als die Dramilen kennenzulernen, und so war der Konvoi bald mit Seidenballen beladen weitergesegelt.
Da es in Thedra um diese Zeit tiefster Winter sein mußte, hatten die Kapitäne die nördliche Route gewählt, um den arktischen Sommer auszunutzen, denn die Fahrt von Inchinem bis zum Kap Ibir dauerte über einhundert Tage. Ab Ibir war es dann noch einhundertdreiundvierzig Tage lang westwärts gegangen, bis schließlich an Backbord die Klippen von Thedra auftauchten. Da war Athan aber schon mit der `Achat' vorausgefahren, und den Heimkehrern konnte ein triumphaler Empfang bereitet werden.
Als wenige Monate darauf der Posten des Kommandanten der `Diamant' vakant wurde, war die Ernennung Athans nur noch eine Formsache gewesen. Als Kapitän des königlichen Großschiffes war er gleichzeitig Oberbefehlshaber der Schwalbenflotte und Obmann der Kapitäne geworden.
Nun wurde die `Diamant' vor allen Dingen für Kurierdienste eingesetzt, und da es zwischen König Reo und dem Kaiser zurzeit keinerlei Unstimmigkeiten gab, lag sie die meiste Zeit im Schwalbenhafen von Thedra. Athan war mehr und mehr zu einem Verwaltungsbeamten geworden, der sich im wesentlichen darauf konzentrierte, die ewigen Streitigkeiten zwischen den Schiffsbauern und den Kapitänen zu schlichten. Das war es nun nicht gerade, worin er den Sinn seines Lebens hätte finden können, und fast jeden Abend kehrte er verdrossen aus dem Schwalbenhafen in seine Wohnung zurück.
Er hielt dieses Leben eines Seemanns für unwürdig und hatte König Reo schon mehrfach um seine Versetzung gebeten. Da er andererseits seinen Posten aber hervorragend ausfüllte und zum erstenmal seit langer Zeit die Zänkereien zwischen den Zünften abebbten, konnte Thedra auf seine Dienste vorläufig nicht verzichten.
An diesem Abend kam er wie üblich müde und verärgert vom Schwalbenhafen zurück, als er, kurz vor der Königsklippe, von einer sehr jungen Frau angesprochen wurde.
"Athan!"
Unwillig schaute Athan sich nach der Sprecherin um. Es war den Bürgern verboten, Scharleute anzusprechen. Zu viele Geheimnisse kannten die Kapitäne und Mannschaften der Fliegenden Schiffe. Da ging es nicht an, dass jeder Beliebige sich ihnen mit unwichtigen Dingen näherte und sie in Gespräche verwickelte.
"Willst du bestraft werden?" Athan wollte weitergehen.
"Ich kann nicht bestraft werden, Athan!"
Der Obmann blieb stehen. "Geh nach Hause, oder ich lasse dich von der Wache holen!"
"Ich bin Scharfrau!"
Das war nun wirklich eine gewagte Behauptung. Athan kannte selbstverständlich alle Mitglieder seiner Zunft, und diese junge Frau gehörte eindeutig nicht dazu. Er überlegte kurz, ob er es vielleicht mit einer Irren zu tun habe.
"Ich bin Scharfrau, weil du es mir versprochen hast", fuhr die Fremde fort. "In dem Jahr, als ich meine Eltern verlor!"
Athan runzelte die Stirn. Dunkel erinnerte er sich. Das Fest der Fliegenden Schiffe - vor fünf Jahren etwa! Ein kleines, dünnes Mädchen, das sich zwischen den Beinen der Erwachsenen zur Bühne durchgekämpft hatte. - Ein verächtlich gezischter Satz, der sich auf einen viel zu dicken Bewerber bezog ...
"Du wirst mit den Schiffen fliegen!" Trotzig stieß die Fremde den Satz hervor. "Erinnerst du dich nun an dein Versprechen?"
"Ja, ich erinnere mich! - Bewirb dich im nächsten Jahr! Du hast einen straffen Körper und einen kühnen Geist! - Ich bleibe dabei. - Du wirst mit den Schiffen fliegen!" Athan wandte sich ab und wollte weitergehen.
"Ich bin in Not." Mehr sagte Teri nicht. Mehr gab es nicht zu sagen.
Der Obmann sah sie nachdenklich an. In seiner Funktion wurde er oft um Rat angegangen. Möglich, dass diese junge Frau wirklich Hilfe brauchte ... "Komm mit - in meine Wohnung." Athan ging voraus, gefolgt von Teri, die sich plötzlich fragte, ob sie nicht vielleicht doch zu kühn gewesen sei.
Teris Bedenken waren umsonst gewesen. Nicht nur, dass der Obmann sich ihr gegenüber außerordentlich freundlich zeigte, auch seine Frau erinnerte sich noch genau an den kleinen Vorfall auf dem Fest der Fliegenden Schiffe. Teri wurde von den beiden zum Essen eingeladen und mußte ihre Geschichte von Anfang bis Ende erzählen.
Sowohl Athan wie auch seine Frau waren von dem Mut und der Zähigkeit, die diese junge Frau in ihrem Leben schon bewiesen hatte,
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