Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker
zunächst einen Überblick. Er hatte sich eine Nacht ausgesucht, in der die Götter kein großes Fest im Hof geplant hatten, doch es gab trotzdem kleinere Gruppen von Priestern, Musikanten und Dienern, die zwischen den einzelnen Palästen hin und her liefen.
Wie sicher bist du dir, dass deine Informationen stimmen?, fragte Nachtblut. Denn, ehrlich gesagt, ich traue den Priestern nicht.
Er ist kein Priester, dachte Vascher. Vorsichtig bewegte er sich nun durch den Sternenschatten der Mauer. Seine Kontaktperson hatte ihm geraten, von den Palästen der einflussreichen Götter wie Schamweberin oder Stillfleck fernzubleiben. Aber sie hatte ihm auch gesagt, dass die Paläste der geringeren Götter– wie Gabenfeuer oder Friedenssehner– für Vaschers Zwecke nicht dienlich waren. Stattdessen hatte sich Vascher das Haus von Gnadenstern ausgesucht, einer Zurückgekehrten, die für ihre Verstrickung in die Politik bekannt war, aber keinen allzu großen Einfluss ausübte.
Heute Abend wirkte ihr Palast ziemlich dunkel, aber er würde bewacht sein. Die Zurückgekehrten von Hallandren bekamen so viele Diener, wie sie haben wollten. Bald erkannte Vascher zwei Männer, welche die Tür bewachten, die ihn interessierte. Sie trugen die ausgefallene Kleidung der Hofdiener, die nach dem Vorbild ihrer Herrin gelb und golden eingefärbt war.
Die Männer waren nicht bewaffnet. Wer würde schließlich das Haus eines Zurückgekehrten angreifen? Sie waren einfach nur da, um ungebetene Besucher davon abzuhalten, einzutreten und den Schlaf ihrer Herrin zu stören. Wach und aufmerksam standen sie neben ihren Laternen, doch damit wahrten sie nur den Schein.
Vascher versteckte Nachtblut unter seinem Mantel, trat aus der Dunkelheit, blickte sich vorsichtig um und murmelte vor sich hin. Er ging gebückt, damit das übergroße Schwert unter dem Mantel nicht auffiel.
O bitte, sagte Nachtblut. Was soll denn diese verrückte Verkleidung? Du solltest klüger sein.
Es wird funktionieren, dachte Vascher. Das hier ist der Hof der Götter. Nichts lockt die Verrückten stärker an als die Aussicht auf eine Begegnung mit den Göttern.
Die beiden Wächter sahen ihn kommen, aber sie schienen nicht überrascht zu sein. Vermutlich hatten sie es jeden Tag mit mehr oder weniger Verwirrten zu tun. Vascher hatte sie alle gesehen, wie sie sich in die Schlangen der Bittsteller einreihten.
» He, du«, sagte einer der Männer, als Vascher näher kam. » Wie bist du denn hier hereingekommen?«
Vascher trat auf sie zu und murmelte, er wolle mit der Göttin reden. Der zweite Mann legte ihm eine Hand auf die Schulter. » Mein Freund, geh zurück zum Tor und sieh nach, ob du dort noch einen Unterschlupf für die Nacht findest.«
Vascher zögerte. Freundlichkeit. Das hatte er nicht erwartet. Diese Haltung verursachte ihm ein gewisses Schuldgefühl wegen seines Vorhabens.
Er drückte den Arm des Wächters beiseite und zuckte zweimal mit dem Daumen, damit die langen Fingerquasten an seinem Hemdsärmel die Bewegungen seiner richtigen Finger nachahmten. Er ballte die Faust. Die Quasten schossen vor und wickelten sich um den Hals des ersten Wächters.
Der Mann keuchte vor Überraschung leise auf. Bevor der zweite Wächter reagieren konnte, hatte Vascher Nachtblut gezogen und rammte dem Mann den Griff in die Magengrube. Der Mann geriet ins Taumeln, und Vascher riss ihm die Beine weg. Vaschers Stiefel folgte und senkte sich langsam, aber unerbittlich auf den Nacken des Mannes nieder. Der Wächter wand und krümmte sich, aber Vaschers Beine besaßen die Kraft des Erweckten.
Vascher stand da, kämpfte gegen beide Männer gleichzeitig, und keiner von ihnen konnte sich ihm entziehen. Kurze Zeit später nahm Vascher den Fuß vom Nacken des zweiten Wächters, ließ den ersten los, der sofort ins Gras sackte, und zuckte zweimal mit dem Daumen, wodurch die Fingerquasten schlaff wurden.
Du hast mich kaum benutzt, sagte Nachtblut und klang dabei ziemlich verletzt. Du hättest mich einsetzen können. Ich bin besser als ein Hemd. Ich bin ein Schwert.
Vascher beachtete diese Bemerkungen nicht, sondern suchte die Dunkelheit mit seinen Blicken ab und vergewisserte sich, dass er nicht entdeckt worden war.
Ich bin wirklich besser als ein Hemd. Ich hätte sie getötet. Sieh nur, sie atmen noch. Dummes Hemd.
Das war der Sinn der Sache, dachte Vascher. Leichen bereiten mehr Schwierigkeiten als Ohnmächtige.
Ich hätte sie auch bewusstlos schlagen können, sagte Nachtblut
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