Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker
Bauwerk, viel älter als die Paläste, die es umgaben. Früher war dieser Ort einmal ein Außenposten gewesen, der die Bucht überwacht hatte. Damals hatte es noch keine Stadt gegeben. Keine Farben. Nur diesen gewaltigen schwarzen Turm. Es amüsierte Vascher, dass er zur Heimstatt des Gottkönigs der Schillernden Töne geworden war.
Vascher steckte Nachtblut in eine Schlaufe an seinem Rücken und sprang von der Mauer auf den Palast zu. Die erweckten Bänder an seinen Beinen verliehen ihm zusätzliche Kraft, und so flog er etwa zwanzig Fuß weit. Er prallte gegen die Seite des Gebäudes; die glatte Oberfläche der Onyxblöcke rieb über seine Haut. Er drehte die Finger, und die Bänder an seinen Ärmeln packten den Vorsprung über ihm und hielten sich daran fest.
Er atmete schwer. Der Gürtel um seine Hüfte– der wie immer seine Haut berührte– erwachte zum Leben. Die Farbe wich aus dem Tuch, das er sich unter der Hose um das Bein gebunden hatte.
» Klettere hoch, pack Dinge, zieh mich nach oben«, befahl er. Drei Kommandos bei einem einzigen Erwecken– das war für manche eine schwierige Sache. Doch für ihn war es so einfach wie ein Blinzeln.
Der Gürtel machte sich los und zeigte, dass er viel länger war, als er aussah, wenn er um die Hüfte geschlungen war. Das fünfundzwanzig Fuß lange Seil schlängelte sich an der Seite des Gebäudes hoch und kroch durch ein Fenster. Sekunden später zog es Vascher nach oben. Erweckte Gegenstände waren viel stärker als gewöhnliche Muskeln, wenn sie auf die richtige Weise geschaffen worden waren. Vascher hatte einmal gesehen, wie einige Seile, die nicht dicker als sein eigenes gewesen waren, Steinblöcke auf eine feindliche Festung geschleudert hatten.
Er lockerte den Griff seiner Bänder und zog Nachtblut aus der Schlaufe, nachdem ihn das Seil innerhalb des Gebäudes abgesetzt hatte. Leise kniete er nieder und suchte mit den Augen die Dunkelheit ab. Der Raum war unbewohnt. Vorsichtig zog er den Hauch wieder in sich zurück und wickelte sich das Seil lose um den Arm. Er pirschte voran.
Wen werden wir töten?, fragte Nachtblut.
Es geht nicht immer nur ums Töten, antwortete Vascher stumm.
Vivenna. Ist sie hier?
Das Schwert versuchte wieder, seine Gedanken zu erraten. Es hatte Schwierigkeiten mit den Dingen, die sich nicht deutlich in Vaschers Kopf bildeten. Die meisten Gedanken, die durch den Kopf eines Menschen huschten, waren flüchtig und unbestimmt. Es waren aufblitzende Bilder, Klänge oder Gerüche. Verbindungen wurden geknüpft, dann wieder verloren und neu hergestellt. Das alles konnte Nachtblut nur sehr schwer verstehen.
Vivenna. Der Ursprung vieler seiner Schwierigkeiten. Seine Arbeit in der Stadt war leichter gewesen, als sie willig Denth geholfen hatte. Da hatte er sie wenigstens verantwortlich machen können.
Wo ist sie? Ist sie hier? Sie mag mich nicht, aber ich mag sie.
Vascher zögerte in dem dunklen Raum. Wirklich?
Ja. Sie ist nett. Und sie ist hübsch.
Nett und hübsch– das waren Worte, die Nachtblut nicht wirklich verstand. Es hatte lediglich gelernt, wann es sie benutzen konnte. Doch das Schwert hatte durchaus eine eigene Meinung, und es log nur selten. Offenbar mochte es Vivenna, auch wenn es den Grund dafür nicht erklären konnte.
Sie erinnert mich an eine Zurückgekehrte, sagte das Schwert.
Ah, dachte Vascher, natürlich. Das ergibt einen Sinn. Er ging weiter.
Was?, meinte Nachtblut.
Sie stammt von einem dieser Geschöpfe ab, sagte er stumm. Das erkennt man an ihren Haaren. Sie hat etwas von einem Zurückgekehrten im Blut.
Nachtblut erwiderte nichts darauf, aber Vascher spürte, wie es nachdachte.
Bei einer Korridorkreuzung blieb er stehen. Er war sich ziemlich sicher, wo die Gemächer des Gottkönigs lagen. Doch das Innere des Gebäudes schien sich verändert zu haben. Die Festung war sehr verwinkelt angelegt, um Eindringlinge zu verwirren. Noch immer gab es diese gewundenen Gänge– die Wände waren dieselben geblieben–, aber die großen Speisesäle und Garnisonsräume waren in viele kleinere Kammern und Zimmer aufgeteilt worden, die nach der Mode der hallandrischen Oberschlicht farbenprächtig ausgestattet waren.
Wo mochte sich die Frau des Gottkönigs aufhalten? Wenn sie schwanger war, dann befand sie sich bestimmt in der Obhut von Dienern. Vermutlich wohnte sie in einem der größeren Zimmerkomplexe in einem oberen Stockwerk. Zum Glück war es schon so spät, dass nur wenige Menschen noch auf den Beinen waren.
Die
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