Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker
stand sie da, ein Fels im Strom der Menschenleiber. Es war ein so ungeheuer großes Gebiet voller Zelte, Pferche, Gebäude und Menschen. Hier gab es keine Pflastersteine, sondern nur Sand und Matsch und einen gelegentlichen Grasfleck; in der Anordnung der Gebäude war weder Plan noch Sinn zu erkennen. Die Wege waren willkürlich platt getreten. Händler priesen schreiend ihre Waren an, Banner flatterten im Wind und Spielleute buhlten um Aufmerksamkeit. Es war eine Orgie aus Farben und Bewegungen.
» Hui«, meinte Parlin leise.
Vivenna drehte sich um und schüttelte ihre Erstarrung ab. » Bist du nicht vorhin schon einmal hier gewesen?«
» Ja«, sagte Parlin. In seinen Augen glitzerte es. » Trotzdem noch einmal: hui.«
Vivenna schüttelte den Kopf. » Jetzt sollten wir zu dem Speiselokal gehen.«
Parlin nickte. » Hier entlang.«
Vivenna folgte ihm verärgert. Das hier war Hallandren; sie sollte nicht so eingeschüchtert sein. Sie sollte vielmehr angeekelt sein. Aber sie war so überwältigt, dass es schwer für sie war, irgendetwas anderes außer einer leichten Übelkeit zu empfinden. Ihr war nie klar gewesen, wie sehr sie die wunderschöne Schlichtheit von Idris als selbstverständlich betrachtet hatte.
Parlins vertraute Gegenwart war ihr höchst willkommen, als die mächtige Woge aus Düften, Klängen und Anblicken sie zu überspülen drohte. An manchen Stellen standen die Menschen so dicht gedrängt, dass Vivenna sich einen Weg an ihnen vorbei bahnen musste. Hin und wieder geriet sie an den Rand einer Panik, wenn sie von schmutzigen und abstoßend farbigen Leibern bedrängt wurde. Zum Glück lag das Speiselokal nicht allzu weit vom Rand des Platzes entfernt, und sie hatten es erreicht, als Vivenna gerade glaubte, sie müsse angesichts all dieser Exzesse aufschreien. Auf dem Wirtshausschild über der Tür war ein Schiff mit fröhlich geblähten Segeln zu sehen. Wenn den Gerüchen, die aus dem Inneren drangen, zu trauen war, dann war das Schiff ein Sinnbild für die Spezialität des Hauses: Fisch. Vivenna zwang sich, nicht zu würgen. Sie hatte zur Vorbereitung auf ihr Leben in Hallandren mehrfach Fisch gegessen, aber er hatte ihr nie geschmeckt.
Parlin trat ein und nahm sofort eine gebückte Haltung ein, beinahe wie ein Wolf, während er sich an die Dunkelheit zu gewöhnen versuchte. Vivenna nannte dem Wirt den falschen Namen, unter dem sie Lemex bekannt war. Der Wirt beäugte Parlin, zuckte die Schultern und führte die beiden zu einem Tisch im hinteren Teil der Stube. Vivenna setzte sich. Trotz ihrer Ausbildung wusste sie nicht genau, wie man sich in einem Speiselokal verhielt. Es schien ihr bezeichnend zu sein, dass Orte wie dieses Lokal in Hallandren existierten– Orte, an denen nicht Reisende, sondern Einheimische verköstigt wurden, sie sich nicht die Mühe machten, zu Hause ihre eigenen Mahlzeiten zu kochen.
Parlin setzte sich nicht, sondern blieb hinter ihrem Stuhl stehen und beobachtete den Raum. Er wirkte so angespannt, wie sie sich fühlte. » Vivenna«, sagte er leise und beugte sich zu ihr vor. » Euer Haar.«
Sie fuhr zusammen und erkannte, dass ihr Haar durch das Entsetzen, das sie bei dem Weg durch die Menge verspürt hatte, heller geworden war. Es war nicht vollkommen weiß– dazu war sie zu gut ausgebildet–, aber es sah aus, als wäre es gepudert worden.
Aus Angst, erkannt zu werden, schlang sich Vivenna wieder das Tuch um den Kopf und schaute weg, als der Wirt herbeikam, um die Bestellung aufzunehmen. Eine kleine Liste der Speisen war in den Tisch eingeritzt, und Parlin setzte sich, wohl weil er die Aufmerksamkeit des Wirtes von Vivenna ablenken wollte.
Du kannst es besser, sagte sie sich streng. Du hast den größten Teil deines Lebens die Sitten und Gebräuche von Hallandren studiert. Ihr Haar wurde wieder dunkler, kehrte zum üblichen Braun zurück. Die Veränderung war so schwach, dass jeder, der sie zufällig beobachtete, sie für eine durch das Licht verursachte Täuschung halten musste. Vivenna behielt das Kopftuch auf und schämte sich. Hatte ein einziger Gang über den Markt bereits ausgereicht, damit sie die Kontrolle über sich verlor?
Denk an Siri, sagte sie sich. Das gab ihr Kraft. Ihre Mission war eine tollkühle Stegreifaktion, aber sie war wichtig. Als sie sich beruhigt hatte, legte sie das Kopftuch wieder ab und wartete, bis Parlin etwas zu essen ausgewählt hatte– einen Eintopf aus Meeresfrüchten– und der Wirt weggegangen war.
» Was jetzt?«, fragte
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