Sturmklänge - Sanderson, B: Sturmklänge - Warbreaker
Geschenke gebracht, wenn niemand sie erwartet hatte. Sie war manchmal ein Ärgernis, aber auch unschuldig. Sie war Vivennas kleine Schwester, und jemand musste auf sie aufpassen.
Der Gottkönig verlangte nach einem Erben. Das wäre Vivennas Pflicht gewesen– ihr Opfer an das eigene Volk. Sie war darauf vorbereitet und damit einverstanden gewesen. Es war einfach falsch, dass nun Siri etwas so Schreckliches tun musste.
Ihr Vater hatte seine Entscheidung getroffen, und sie war zum Besten von Idris gefallen. Aber auch Vivenna hatte sich entschieden. Wenn es wirklich zum Krieg kommen sollte, dann wollte Vivenna ihre Schwester in dem Augenblick aus der Stadt herausholen, in dem es gefährlich für sie wurde. Vivenna war der Ansicht, dass es eine Möglichkeit geben musste, Siri vor Ausbruch des Krieges in Sicherheit zu bringen. Vielleicht konnte sie die Hallandrener täuschen und sie glauben machen, Siri sei gestorben. Sie musste etwas tun, das ihre Schwester rettete, ohne dass es weitere Feindseligkeiten hervorrief.
Ein solches Verhalten hätte ihr Vater niemals gebilligt. Daher hatte sie es ihm erst gar nicht erzählt. Es war besser für ihn, wenn er jede Beteiligung an dieser Sache abstreiten konnte, falls etwas schiefging.
Vivenna ging mit gesenktem Blick die Straße hinunter und bemühte sich, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es war erstaunlich einfach gewesen, aus Idris zu verschwinden. Wer hätte je ein derart tollkühnes Verhalten von Vivenna erwartet, die immer so perfekt war? Niemand hatte sich gewundert, als sie um Nahrungsmittel und andere Vorräte gebeten hatte; sie hatte angegeben, sie wolle für Notfälle vorsorgen. Niemand hatte Fragen gestellt, als sie eine Expedition in die höher gelegenen Gebiete vorgeschlagen hatte, um wichtige Wurzeln zu sammeln; es hatte eine gute Entschuldigung für die ersten Wochen ihrer Abwesenheit dargestellt.
Es war leicht gewesen, Parlin zu überreden. Er vertraute ihr, vielleicht sogar zu sehr, und er kannte die Pfade und Wege hinunter nach Hallandren sehr gut. Auf einem Erkundungszug im vergangenen Jahr war er bis zu den Stadtmauern gekommen. Mit seiner Hilfe war es ihr gelungen, einige seiner Freunde– ebenfalls Waldläufer– zu rekrutieren, die Vivenna beschützen und ein Teil ihrer » Expedition« sein sollten. Diese Männer hatte Vivenna erst an diesem Morgen nach Idris zurückgeschickt. In der Stadt waren sie von keinem großen Nutzen, denn hier hatte Vivenna schon andere Verbündete für ihren Schutz gefunden. Parlins Freunde würden ihren Vater benachrichtigen, dem sicherlich schon zugetragen worden war, was sie getan hatte. Vor ihrem Aufbruch hatte sie ihrer Magd befohlen, ihm an einem bestimmten Tag einen Brief zu übergeben. Als sie die inzwischen verstrichenen Tage zählte, erkannte sie, dass ihr Vater ihn an diesem Abend erhalten würde.
Sie wusste nicht, wie ihr Vater darauf reagieren würde. Vielleicht schickte er ihr Soldaten hinterher, die sie zurückbringen sollten. Vielleicht ließ er sie in Ruhe. Sie hatte ihn schriftlich gewarnt, dass sie, falls sie idrische Soldaten auf der Suche nach ihr bemerken sollte, einfach zum Hof der Götter gehen und dort erklären würde, es sei ein Fehler unterlaufen, und sie bitte um Austausch gegen ihre Schwester.
Sie hoffte inständig, dass das nicht nötig wurde. Dem Gottkönig durfte man nicht vertrauen; vielleicht würde er Vivenna gefangen nehmen und Siri trotzdem behalten. So hätte er das Vergnügen gleich zweier Prinzessinnen.
Denk nicht darüber nach, sagte Vivenna zu sich selbst und zog sich das Tuch trotz der Hitze enger um den Kopf.
Sie musste einen anderen Weg finden. Der erste Schritt war die Suche nach Lemex, dem wichtigsten Spion ihres Vaters in Hallandren. Vivenna hatte bei mehreren Gelegenheiten mit ihm korrespondiert. Ihr Vater hatte gewollt, dass sie mit seinem besten Agenten in T’Telir vertraut wurde, und diese Vorausschau arbeitete nun gegen ihn. Lemex kannte Vivenna und hatte den Befehl erhalten, all ihre Anweisungen auszuführen. Sie hatte dem Spion an dem Tag, an dem sie von Idris aufgebrochen war, einen Brief geschickt, den ein Bote, der mehrfach die Pferde gewechselt hatte, ihm so schnell wie möglich hatte überbringen sollen. Wenn die Botschaft hier angekommen war, dann würde der Spion nun in dem vereinbarten Speiselokal auf sie warten.
Ihr Plan schien gut zu sein. Sie war vorbereitet. Warum also fühlte sie sich so furchtbar eingeschüchtert, als sie den Marktplatz betrat?
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