Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
zu, während es leichtfüßig auf der Spitze einer Windhose balancierte, die dünnen Arme vor der Brust verschränkt. Anders als die vermummten Sturmkönige trug Jibril nur eine wehende Hose aus hellem Stoff und war barfuß. Die kurze Weste über seinem schmächtigen Oberkörper war so hell wie seine Haut und flatterte auf und zu. Der Wirbelsturm schrumpfte unter seinen Füßen, bis Jibril sich auf einer Höhe mit Junis befand, zwanzig Meter über der Wüste. »Es ist vorbei!«
Ungläubig sah Junis von ihm hinüber zur Staubhölle des Schlachtfelds. Von weitem hätte man es für einen Sandsturm halten können, eine himmelhohe braune Wand, die sich ein, zwei Kilometer weit in die Breite erstreckte. Darin aber wimmelte es nur so von durcheinandergewirbelten Dschinnen und den rotierenden Säulen kleiner und großer Tornados. Was genau vorging, konnte Junis nicht erkennen. Wohl aber sah er die rennenden, stolpernden Männer aus den Sklavenpferchen am Boden, weit genug von der Schlacht entfernt, außerhalb der unmittelbaren Bedrohung durch die Dschinne.
»Du hast keine Waffe mehr«, brüllte Jibril zu Junis herüber. »Womit willst du kämpfen?«
Junis hatte keine Antwort darauf. Er war wie im Fieber, hätte sich am liebsten mit bloßen Händen auf die Kettenmagierin und ihre Krieger gestürzt.
»Du hast eine Schwarmschrecke getötet«, stellte der Junge fest. »Nicht schlecht.«
»Du hast das gesehen?«
Der Junge nickte. »Viele haben es gesehen. Das war beeindruckend.«
»Woher weißt du -« Er stockte. »Du liest ihre Gedanken?«
»Ich kann mit ihren Augen sehen. Manchmal.«
Dass Jibril kein gewöhnliches Kind war, wusste Junis längst; dass er eine wichtige Rolle im Krieg der Sturmkönige gegen die Dschinnfürsten spielte, war ebenfalls keine Überraschung. Nun aber begriff er. »Du verleihst ihnen die Macht über die Stürme!«
Sie verharrten nebeneinander in der Luft, keine fünfhundert Meter von der tosenden Staubwand entfernt. Immer wieder spie das Chaos tote Dschinne aus, die den verheerenden Kräften der Tornados zum Opfer gefallen waren.
Die rotierende Windhose neben Junis’ Teppich bog und wiegte sich, aber Jibril stand vollkommen unbewegt auf ihrer Spitze, als befände sich unter seinen Fußsohlen fester Boden. »Ich gebe nur die Magie an sie weiter.«
Junis schüttelte langsam den Kopf. »Woher stammst du, Jibril?«
»Aus Bagdad.«
»So siehst du nicht aus.«
»Weil ich weiße Haut habe?« Der Junge lächelte. »Und keine Haare?«
»Wer hat den Rückzug befohlen – du oder Maryam?«
»Ich gebe niemals Befehle«, entgegnete der Junge.
Junis verzog das Gesicht. »Maryam, also.« Wir laufen schon lange nicht mehr davon, hatte sie noch vor wenigen Stunden zu ihm gesagt. Was sonst aber war das vorhin gewesen, wenn keine Flucht?
»Urteile nicht vorschnell über sie. Sie ist eine geborene Anführerin, und sie weiß sehr genau, was sie tut.«
»Sie hätte diese Männer geopfert!«
»Sie hat eine Entscheidung getroffen.« Jibril klang niedergeschlagen. »Wenn diese Schlacht vorüber ist, werden weit mehr als dreißig Sturmreiter tot sein. Dreißig Männer und Frauen, die erfahren waren im Kampf gegen die Dschinne und seit Jahren auf den Stürmen geritten sind. Sie sind gestorben, um dreißig Nomadensöhnen das Leben zu retten, die nichts wissen über das, was wir hier tun. Und über die wir nichts wissen. Für eine Heerführerin ist das ein schlechter Tausch. Erst recht für eine, deren Heer so klein ist wie das unsere.«
Maryam hatte eiskalt kalkuliert wie schon beim Angriff auf die Hängenden Städte. Unter den Sklaven, die sie dort ihrem Schicksal überlassen hatte, waren auch Tarik und Sabatea gewesen. In einem Anflug von Selbstzweifel drängte sich Junis die Frage auf, ob er diesen abgerissenen, halb verhungerten Gestalten dort unten nur deshalb das Leben gerettet hatte, weil sein Bruder und Sabatea bei ihnen hätten sein können – hätte Maryam in der Rochgrotte die Rettung der Gefangenen nicht vorzeitig abgebrochen.
Aber hatte sie eine Wahl gehabt? Und was, wenn sie gewusst hätte, dass Tarik in den Hängenden Städten gefangen gehalten wurde? Hätte sie dann anders entschieden? Um seinetwillen?
»Die Dschinne ziehen sich zurück«, rief Jibril.
Junis starrte angestrengt in das Chaos. Mit den Augen der Sturmkönige sah der weißhäutige Junge mehr als er. Noch immer wurden Dschinnkrieger von den Stürmen umhergeschleudert, verschwanden in den gigantischen Strudeln und wurden
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