Sturmkönige 02 - Wunschkrieg
sofort.
Nur noch einmal sah sie über die Schulter und sagte niedergeschlagen: »Im Morgengrauen bergen wir die Toten. Dann kannst du dir bei Tageslicht ansehen, was wir beide angerichtet haben.«
Im goldenen Käfig
Sabatea stand im Nachtgewand auf einem Balkon des Kalifenpalastes, hinter sich die offene Terrassentür ihres Schlafgemachs, umspielt von nebelleichten Seidenvorhängen. Eine Öllampe brannte neben ihrem prächtigen Bett, die Flamme warf einen blassen Schimmer über die Kissen und den hohen Baldachin. Der Rest des Zimmers lag im Halbdunkel, ein verschachteltes Raster aus schwarzen und dunkelgrauen Schattenrissen.
Sie fürchtete sich nicht vor der Dunkelheit im Gemach, auch die Nacht dort draußen ängstigte sie nicht. Einige Stockwerke unter dem Balkon breiteten sich im Schein von Feuerbecken die üppigen Palastgärten aus, erfüllt vom Flattern und Zirpen der Nachttiere, die sich aus dem Dschinnland hierher gerettet und im Schutz der Palmenhaine und Sträucher überlebt hatten.
Jenseits der Gärten lag die Zinnenmauer, die den Palastbezirk von den übervölkerten Stadtvierteln Bagdads trennte. So spät in der Nacht hatten die meisten Bewohner ihre Kerzen und Lampen gelöscht. Dennoch glühten genug helle Punkte in der Finsternis, um den Eindruck zu erwecken, der klare Sternenhimmel spiegele sich auf einem schwarzen Gewässer. Die Runde Stadt, das Zentrum von Bagdad, war nicht größer als Samarkand, doch von Sabateas Aussichtspunkt erschien es, als reichten die erleuchteten Fenster bis zum Horizont. Sie täuschten darüber hinweg, dass jenseits der Stadt nur Leere war, eine staubige, entmenschte Ödnis, die sich bald mit feindlichen Heerscharen füllen würde.
Zwischen den Gestirnen am Himmel wischten Lichter wie Sternschnuppen vorüber, Fackelträger auf fliegenden Teppichen. Die Zahl der schwebenden Feuer täuschte; in Wahrheit mussten dort oben noch viel mehr Soldaten sein.
Sabatea raffte das Nachtgewand enger vor ihrer Brust zusammen, fröstelnd von den kühlen Nachtwinden aus der Wüste, aber auch, weil sie sich beobachtet fühlte. Dabei war es nicht die Vorstellung, dass ein paar gelangweilte Soldaten sie im Dunkeln von ihren fliegenden Teppichen aus anstarren könnten. Die Gänsehaut auf ihren Armen hatte einen anderen Grund. Denselben, der sie keinen Schlaf finden ließ.
Manchmal schien es ihr, als öffneten sich am Rande ihres Blickfeldes Augen, in den Arabesken an den Wänden, den gemalten Mustern auf Vasen und Schalen, selbst in den Rauchwirbeln erloschener Kerzen. Verfolgungswahn, vielleicht. Aber ihr ging der Argwohn des Hofmagiers Khalis nicht aus dem Sinn – es waren seine Blicke, die sie immer wieder zu spüren glaubte. Der Berater des Kalifen bewohnte Gemächer auf der anderen Seite des Palastes, und ihre Vernunft sagte ihr, dass er Besseres zu tun hatte, als sich um die Vorkosterin aus dem fernen Samarkand zu sorgen. Dennoch konnte sie nicht vergessen, wie er sie bei ihren wenigen Begegnungen angesehen hatte.
Dabei hatte sie längst keine Geheimnisse mehr. Harun al-Raschid und sein Berater wussten nur zu genau, in welcher Mission sie nach Bagdad gekommen war, und sie kannten ihre Beweggründe. Die Entscheidung des Kalifen, was mit ihr geschehen sollte, stand noch aus, aber Angst musste er gewiss keine vor ihr haben. Warum also hatte sie das Gefühl, dauernd beobachtet zu werden, in ihrem Gemach ebenso wie draußen auf den Gängen, wenn sie bei Tag ihre langen Wanderungen durch den Kalifenpalast unternahm, mit erhobenem Haupt und stolzen Schritten, im Inneren aber aufgewühlt, zornig und voller Sorge um Tarik?
Noch immer wusste sie nicht, was aus ihm geworden war. Nach seinem aberwitzigen Versuch, in den Palast einzudringen, war er den Teppichreitern der Falkengarde entkommen. Doch wo steckte er jetzt? Noch immer irgendwo in Bagdad? Sie hoffte inständig, dass er nicht so dumm war, einen zweiten Befreiungsversuch zu wagen. Soldaten, die darauf vorbereitet waren, die Mordbestien der Dschinnfürsten abzuwehren, würden einen einfachen Schmuggler kein zweites Mal entwischen lassen.
Fröstelnd trat sie vom Balkon zurück ins Zimmer. Im Morgengrauen würden die Dienerinnen sie wecken und für einen neuen, sinnlosen Tag ausstaffieren. Feinste Stoffe, goldene Kämme, kostbare Farben, um ihre Haut damit zu bemalen, sinnliche Symbole auf ihren Unterarmen, am Hals, um ihren Bauchnabel – sie kam sich vor wie einer der verdammten Vögel in den Käfigen des Kalifen,
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