Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Sturmkönige 02 - Wunschkrieg

Titel: Sturmkönige 02 - Wunschkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
erkannte er Einzelheiten, und was er sah, war ein lebender, atmender Alptraum.
    Der breite Eisenring, an dem die vier Kettenenden verankert waren, lag um die Hüften einer Frau. Sie musste alt sein, denn der Verrat der Magier lag Jahrzehnte zurück. Doch jede Spur, die die Jahre an ihrem Leib hinterlassen hatten, war getilgt worden von etwas Dunklem, Faserigem, das ihren nackten Körper wie ein Netz überzog. Es schien, als wären all ihre Adern nach außen gedrungen, säßen jetzt auf der Haut statt darunter. Dunkelblau, geschwollen, manche knotig verwachsen. Vielfach verästelt zogen sie sich über ihre Glieder, ihren Torso, selbst über das Gesicht. Die gnadenlose Wüstensonne hatte das ihre getan, den Körper der Kettenmagierin zu entstellen: Wie gehäutet schwebte sie dort oben im Schein der Abendsonne, während Säfte durch das scheußliche Adernetz pulsierten, die Blut oder etwas anderes sein mochten.
    Die Dschinne flogen gut dreißig Meter über der Wüste dahin, die Schwarmschrecken mitten unter ihnen. Die Kettenmagierin aber schwebte sehr viel höher, ganz allein dort oben, während die vier Kettenstränge in straff gespannten Diagonalen im Pulk der Krieger verschwanden. Vor zwei Wochen hatte Junis mitangesehen, was geschah, wenn den vier Trägerdschinnen die Ketten entrissen wurden – dann trieb der Magier an ihrem Ende hilflos nach oben, unfähig aus eigener Kraft zum Boden zurückzukehren, bis er irgendwann in der Unendlichkeit des Himmels verschwand. Doch Junis bezweifelte, dass es diesmal gelingen würde, die Kettenmagierin zu bezwingen. Sie befehligte eine ganze Armee, mehrere hundert Dschinne, die nach dem ersten Zusammenstoß mit den Sturmkönigen übrig geblieben waren. Zu den vier Trägern vorzustoßen war unmöglich.
    Aber die Kettenmagierin war nicht Junis’ größte Sorge. Noch machte sie keine Anstalten, mit ihrer Zauberei gegen die Sturmkönige oder die Männer am Boden vorzugehen. Sie beobachtete lediglich, wie sich die Stürme in der Dunkelheit des östlichen Horizonts auflösten, rief unverständliche Befehle zu ihrer Streitmacht hinab und schenkte den Fliehenden am Boden keine Aufmerksamkeit.
    Junis hätte zwei oder drei der Männer aufsammeln können, aber auch das wäre keine Garantie für ihr Überleben gewesen. Vielmehr hätte die zusätzliche Last seinen Teppich behäbig und langsam gemacht, und die Dschinne hätten sie mühelos einholen können. Tatsächlich konnte er nur eines tun, um die Krieger von den wehrlosen Flüchtlingen am Boden abzulenken.
    Er musste allein zum Angriff übergehen und den Männern genug Zeit verschaffen, um sich zwischen den Felsen weiter östlich zu verstecken. Die wenigsten würden überleben. Aber zumindest einige von ihnen mochten Glück haben und sich tief genug in den Spalten verstecken. Das Hauptinteresse der Dschinne galt nicht ihren entflohenen Gefangenen. Sie waren hier, um die Sturmkönige auszulöschen.
    Ein letztes Mal dachte er an Tarik und fühlte sich ihm näher als jemals zuvor – als hätte die Trennung alles Schlimme, das zwischen ihnen vorgefallen war, einfach fortgewischt. Das alles hier ließ den kindischen Streit verblassen, der sie jahrelang entzweit hatte. Wenn er sterben würde, dann im Frieden mit seinem Bruder. Und mit dem Gedanken an Sabateas Lächeln, der Erinnerung an ihre salzige Haut, an den Blick ihrer weißgrauen Geisteraugen.
    Tief im Muster des Teppichs ballte er die linke Hand zur Faust, gab eine Kette von Befehlen. Die Stränge und Schlingen des magischen Musters zogen sich um seine Finger zusammen, schienen sein Blut abzuschnüren, wurden eins mit seinen Instinkten, seinen Gedanken.
    Der Teppich schoss vorwärts. Keine hundert Meter mehr bis zu den vorderen Dschinnen. Dahinter schnappten Beißscheren auf und zu, knirschte das Chitin mächtiger Insektenpanzer. Abendrot glühte auf den Wölbungen und Spitzen der Schwarmschrecken, umrahmte ihre diamantenen Facettenaugen.
    Junis riss den Teppich aufwärts, kurz bevor ihn die ersten Dschinne erreichen konnten. Er schoss über sie hinweg und hörte das Rascheln und Flattern der menschlichen Skalps, die sie als Trophäen in ihre Kopfhäute eingenäht hatten.
    Eines der Schwerter, die er am Nachmittag geschärft hatte, klemmte unter seinen Knien. Jetzt riss er es mit der Rechten nach oben, schwang es in einer spöttischen Geste, während eine ganze Schar von Dschinnen ihre Flugrichtung änderte und von unten zu ihm aufstieg.
    Er war schneller als sie, selbst auf einem

Weitere Kostenlose Bücher