Sturmsegel
läuft uns vielleicht der Nachbar über den Weg oder ein paar schwedische Soldaten.«
»Ihr wisst, dass ihr euch damit in Teufels Küche bugsiert habt?«, bemerkte Martens, nachdem sie das Scharfrichterhaus ein Stück weit hinter sich gelassen hatten.
»Das wissen wir, aber hätten wir dich dort drinnen lassen sollen?«, entgegnete Sönke, während er seinen Blick wachsam umherschweifen ließ.
»Das wäre mir vermutlich angenehmer gewesen, als zu wissen, dass meine Kinder Schuld auf sich geladen haben.«
»Es weiß doch niemand, dass wir es waren«, entgegnete Hinrich mit einem hintergründigen Lächeln. Es bedeutete nichts anderes, als dass sie schon wegen ganz anderer Dinge Schuld auf sich geladen hatten.
»Und dann reißt ihr noch zwei andere Menschen mit hinein.«
»Ich bin freiwillig hier, Herr Martens«, bekundete Marte.
»Ich auch«, fügte Ingmar hinzu.
Martens lächelte. »Ich wünschte, ich hätte solch treue Freunde gehabt, als sie mich holten. Aber das soll jetzt vergessen sein. Überlegen wir uns lieber, wie wir aus dem Schlamassel wieder herauskommen.«
An einer verlassenen Scheune in der Frankenstraße machten sie schließlich halt.
»Hier sollten wir fürs Erste sicher sein«, sagte Roland Martens, als er die Tür hinter sich zuzog.
Mondlicht fiel durch die Ritzen des Daches und malte helle Flecken auf den Boden. Das Stroh und die Balken konnte man nur vage erkennen.
Sönke berichtete seinem Vater, was er in Erfahrung gebracht hatte. Dieser nahm es mit einem fassungslosen Kopfschütteln auf. »Sowas kann es nicht geben!«
»Das haben wir auch gesagt«, entgegnete Sönke. »Aber da es keinen anderen Weg gab, haben wir eben diesen gewählt. Das Beste wird sein, wenn du Stralsund verlässt. Du könntest zu uns kommen oder tiefer ins Land ziehen.«
Martens lachte schmerzlich auf. »Da muss nun ein Mann, der sich nichts zuschulden kommen ließ, wie eine Ratte flüchten.«
»Was wäre, wenn wir zum Hafen laufen und ein Schiff suchen?«, fragte Anneke unvermittelt. »Vielleicht läuft ja morgen früh eines aus.«
»Ich habe ein paar Schiffe gesehen, Schweden und Dänen, die gewiss bald ablegen«, schaltete sich Ingmar ein, und bevor die Martens-Brüder etwas entgegnen konnten, fügte er hinzu: »Immerhin hatte ich genug Zeit, mir den Hafen anzusehen.«
»Scheinst ein patenter Junge zu sein, Ingmar«, entgegnete Martens und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich fürchte aber, ich habe kein Geld, um uns an Bord zu bringen. Der Rat hat meine Besitztümer beschlagnahmt. Ja, sie haben mir sogar die Schlüssel zu meinem eigenen Haus weggenommen!«
Das Mädchen zog den Lederbeutel hervor, den es von Hinrich erhalten hatte. »Vielleicht reicht das ja.«
»Woher hast du das?«, fragte Roland Martens, während Anneke ihm die Münzen auf die Handfläche schüttete.
»Von Hinrich. Er hat es mir für unterwegs gegeben.«
Martens blickte zu seinem Sohn.
»Es ist ehrlich erworbenes Geld«, behauptete dieser und trat vorsichtshalber ein Stück weit zurück. Er schien nicht vergessen zu haben, dass ihm sein Vater früher für seine Vergehen Ohrfeigen verpasst hatte.
»Es ist der erste Sold, den man ihm gezahlt hat«, sprang Sönke für ihn ein und löste dann ebenfalls einen Beutel von seinem Gürtel. »Und das hier ist meiner. Nimm ihn, Vater, und dann fahrt ihr drei übers Meer. Nach Schweden oder Dänemark.«
»Ich werde hierbleiben!«, platzte Hinrich heraus, worauf ihm sein Bruder einen Klaps auf den Arm verpasste.
»Dich meinte ich auch nicht, Dösbaddel. Ich dachte eher an Vater, Anneke und ihren Liebsten.«
Auf diese Worte schnellte der Kopf des Kaufmanns herum. »Dein Liebster ist das also.«
Anneke war froh, dass es hier so dunkel war, dass niemand ihr Erröten bemerkte.
»Das hast du mir vorhin aber nicht gesagt!«
Trotz der Dunkelheit bemerkte Anneke, dass ihr Vater ihr zuzwinkerte.
»Vater, ich …«
»Keine Bange, ich habe nichts dagegen. Immerhin hat der Bursche mitgeholfen, mich zu befreien. Das macht dich beinahe schon zu einem Familienmitglied, Ingmar.«
Ob der Junge jetzt rot wurde, wusste Anneke nicht, aber wie sie ihn kannte, war ihm diese Unterhaltung genauso unangenehm wie ihr.
»Dein Angebot ist großzügig, Sönke, aber ich weiß nicht, ob ich dich hier allein zurücklassen will.«
»Ich bin erwachsen, Vater. Hinrich und ich sind bisher zurechtgekommen und werden es auch weiterhin tun.«
»Ja, Hinrich ist so gut zurechtgekommen, dass er meine Anweisung missachtet hat
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