Sturmsegel
eigentlich aus Nettel und Sanne geworden?«, fragte Anneke ihren Vater, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander gegangen waren. »Als ich bei deinem Kontor war, war alles verschlossen und die Fenster waren verriegelt.«
»Sanne hat nach dem Ende der Belagerung ihren Soldaten geheiratet. Dem armen Teufel ist eine Hand abgeschossen worden, aber er hat immerhin sein Leben behalten. Da ihr nicht mehr da wart, hatte sie keinen Grund mehr zu bleiben. Immerhin konnte ich ihr noch ein gutes Brautgeschenk mitgeben, bevor ich verhaftet wurde.«
»Und Nettel?«
»Nettel ist kürzlich aus der Stadt fortgezogen, jedenfalls hat man es mir so berichtet. Sie musste hilflos mit ansehen, wie ich verhaftet und das Haus beschlagnahmt wurde. Wahrscheinlich hat sie nicht damit gerechnet, dass ich jemals wieder rauskomme.«
Anneke nickte. Immerhin schien Sanne ihr Glück gefunden zu haben.
Der Stralsunder Hafen erinnerte Anneke ein wenig an den in Stockholm, wenngleich dieser wesentlich größer war. Und heller. Weiße Nächte gab es hier nicht, lediglich für ein paar Tage im Sommer ging das letzte Abendrot ins erste Morgenrot über.
Die Ostsee war an diesem Morgen ruhig, nur vereinzelt bedeckten Wolken das Licht der Sterne.
Auf den Schiffen war auch alles ruhig, die meisten hatten ihre Landungsbrücken eingezogen.
»Glaubst du wirklich, dass uns zu dieser Zeit ein Kapitän auf sein Schiff lässt?«, fragte Anneke, während sie zu dem Wald aus Masten hinüberschaute.
»Wenn wir Glück haben, warum nicht?«, entgegnete Martens, während er das gestohlene und ziemlich zerknitterte Wams ein wenig glatt strich.
»Ich könnte mitkommen und übersetzen, falls der Kapitän Däne oder Schwede ist«, bot sich Ingmar an. Martens nickte, und gemeinsam strebten sie den Schiffen zu. Die beiden Mädchen blieben zurück. Unbehaglich blickten sie um sich, und als der Wind kühler wurde, rückten sie näher zusammen.
»Ich schätze mal, die Zeit reicht nicht aus, um mir alles, was du erlebt hast, zu erzählen«, sagte Marte, nachdem sie eine Weile auf das Wasser geblickt hatte, in dem sich das Mondlicht spiegelte.
»Ein paar Sachen vielleicht«, entgegnete Anneke. »Das Wichtigste.«
Marte schüttelte den Kopf. »Nein, die Zeit reicht nicht. Aber du kannst es mir erzählen, wenn wir uns das nächste Mal sehen.«
Hufgetrappel ertönte plötzlich und kam rasch näher.
Waren das die Henkersknechte, die ihren Meister gefunden hatten?
Annekes Herz begann zu rasen. Rasch zerrte sie Marte hinter ein großes Fass und hielt dann nach Ingmar und ihrem Vater Ausschau.
Von den beiden war nichts mehr zu sehen. Die Reiter, die sich als Schweden herausstellten, trabten an ihnen vorbei, ohne Notiz von ihnen zu nehmen.
Erleichtert atmete sie auf, als die Männer in der Dunkelheit verschwanden.
»Glaubst du, dass sie auf der Suche nach uns waren?«, fragte Marte, während sie den Hals reckte.
»Es waren schwedische Soldaten, die haben sicher nicht nach uns gesucht. Aber es ist trotzdem besser, wenn sie uns nicht sehen.«
Nach einer Weile ertönten Schritte hinter ihnen. Anneke spähte hinter dem Fass hervor. Es waren Ingmar und ihr Vater.
»Das Schiff fährt nach Dänemark«, berichtete Martens. »Der Kapitän ist bereit, uns für das Geld, das wir haben, mitzunehmen. Wir sollen aber sofort an Bord kommen, denn er will keinen Ärger.«
»Habt ihr ihm erzählt, was los war?«
»Nein, aber er hat wohl gemerkt, dass wir keine reine Weste haben«, entgegnete Roland Marten. »Geld stinkt allerdings nicht und so werden wir Stralsund bei Tagesanbruch verlassen können.«
Anneke nickte und blickte dann zu Ingmar. Wie immer konnte sie ihm von den Augen ablesen, was er dachte. Gerade dem Wasser entkommen und nun wieder auf die See!
Das Schiff, das sie aufnehmen würde, wirkte aber um etliches stabiler als das, mit dem sie aus Stockholm geflohen waren. Es hatte einen mächtigen Rumpf, drei Masten und einige Kanonenluken. Es war ein Handelsfahrer, der offenbar gegen alle möglichen Unbilden gerüstet war.
Bevor Anneke die Landungsbrücke betrat, reichte sie Marte den Hühnerkäfig. Das Huhn war von den vorangegangenen Ereignissen noch immer so verstört, dass es keinen Mucks machte. »Behalte es hier. Als Pfand für unser Wiedersehen. Und ich hoffe sehr, dass es vorher nicht an Altersschwäche stirbt.«
Damit umarmten sich die beiden Mädchen noch einmal und nahmen mit dem Versprechen, sich auf irgendeine Weise Nachricht zukommen zu lassen, Abschied
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