Sturmtief
rätselhaft oder kompliziert erscheinen. Und Vollmers
gehörte nach Lüders Meinung mit Sicherheit zu den Besten in seinem Fach.
»Ich werde darüber nachdenken«, antwortete Lüder
ausweichend. Tatsächlich war er sich nicht sicher, ob hier ein Fall für den
Polizeilichen Staatsschutz vorlag. Mochte ein Mord noch so brutal ausgeführt
worden sein, es musste sich nicht zwangsläufig ein politisches Motiv dahinter
verbergen. »Haben Ihre Ermittlungen schon zu weiteren Erkenntnissen geführt?«
»Das ist das Merkwürdige an diesem Fall. Der Täter ist
in aller Offenheit vorgegangen. Wir hatten keine Mühe, zahlreiche Zeugen zu
finden. Deshalb konnten wir rekonstruieren, dass er vor Havensteins Wohnung auf
den Journalisten gewartet haben muss. Dann ist er dem späteren Opfer in aller
Offenheit durch den Pastorengang gefolgt.«
»Pastorengang?«
»Entschuldigung. So heißt eine kleine Gasse, die vom
Strand durch die Altstadt zur Fußgängerzone führt. Wir haben ein Paar gefunden,
das auf einem Spielplatz am Strand war und sich an die beiden Männer erinnern
kann. Dann gibt es die Bedienung des Cafés, ebenfalls am Strand, die uns eine
vortreffliche Beschreibung des Täters geliefert hat. Der Hausmeister einer
Wohnanlage ist ihnen begegnet. Havenstein hat ihn aus Versehen angerempelt. Ein
Schulfreund des Journalisten hat sie gesehen, dann …«
»Danke, das reicht«, unterbrach ihn Lüder. »Ich kenne
die sorgfältige Arbeitsweise Ihres Teams.«
Vollmers brummte etwas Unverständliches. Trotzdem
hatte er Lüders Lob mit einer Spur Freude aufgenommen.
»Alle Zeugen einschließlich des Personals der
Buchhandlung haben sich bereit erklärt, an einer Personenbeschreibung
mitzuwirken. Die Spurensicherung stellt Havensteins Wohnung auf den Kopf und
versucht, DNA -Spuren
sicherzustellen. Wir wissen außerdem, dass der Täter ohne Handschuhe gearbeitet
hat.«
»Das ist nicht verwunderlich. Schließlich hat er sich
auch nicht versteckt. Er muss sich seiner Sache absolut sicher gewesen sein.
Gibt es schon Informationen aus dem daktyloskopischen Abgleich?«
Der Hauptkommissar sah Lüder aus leicht
zusammengekniffenen Augen an. »Wir sind zwar schnell, aber keine Hexenmeister.
Das Einzige, was festzustehen scheint, ist, dass der Täter ein südländisches
Aussehen hatte.«
»Darunter kann man viel verstehen«, gab Lüder zu
bedenken. »Südeuropäer? Balkan? Naher Osten?«
»Wir arbeiten daran«, wich Vollmers aus.
»Gibt es schon Hinweise auf die verwendete Tatwaffe?«
Vollmers verdrehte die Augen. »Wollen wir so
verfahren, dass Sie überlegen, ob Sie sich in die Ermittlungen einschalten
wollen? Dann werden wir so weit sein, dass ich Ihnen weitere Einzelheiten
nennen kann.« Der Hauptkommissar sah auf seine Armbanduhr. »Ich muss jetzt
ohnehin zum nächsten Termin. Brechmann möchte informiert werden.«
»Ihnen bleibt nichts erspart«, sagte Lüder, und sein
Mitgefühl war ehrlich gemeint.
Oberstaatsanwalt Brechmann von der Kieler
Staatsanwaltschaft war ein unangenehmer Gesprächspartner. Man konnte Brechmann
nicht vorwerfen, dass er dumm war. Ganz bestimmt verfügte der Oberstaatsanwalt
über ein hervorragendes Wissen und eine langjährige Erfahrung. Leider hatte es
in der Vergangenheit oft Unstimmigkeiten zwischen Lüder und Brechmann über die
Vorgehensweise in brisanten Fällen gegeben. Kurzum: Die beiden mochten sich
nicht.
Lüder nickte. »Vielen Dank, dass Sie mich informiert
haben. Ich melde mich bei Ihnen.« Damit verabschiedete er sich und kehrte ins
Landeskriminalamt zurück.
Sein Büro war zweckmäßig eingerichtet. Wie in
Behörden, aber auch in großen Unternehmen üblich, orientierte sich die
Ausstattung des Arbeitsraums an der Stellung in der Hierarchie des Amtes.
Er hatte sich im Geschäftszimmer bei Edith Beyer einen
Becher Kaffee besorgt und sich in sein Büro zurückgezogen. Der Mord an Robert
Havenstein beschäftigte ihn. Es gab eine Reihe von Merkwürdigkeiten. Aus der
Bestellung in der Buchhandlung konnte man mit viel Phantasie die Vermutung
ableiten, dass sich der Journalist mit dem Atommeiler in Krümmel beschäftigt
hatte. Das bedeutete aber nicht, dass der Mord an ihm im Zusammenhang mit
diesem Thema stehen musste. Mit hoher Wahrscheinlichkeit lag aber das Motiv im
beruflichen Umfeld des Opfers. Warum sonst galt der Einbruch in Havensteins
Wohnung seinen Computern? Die Spurensicherer hatten außerdem kein einziges
Speichermedium gefunden, keine externe Festplatte, keinen USB -Stick und
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