Sturmtief
keinen Speicherchip. Die
Auswertung der DVD s würde noch
längere Zeit in Anspruch nehmen.
Beim Gedanken an den Speicherchip fiel Lüder ein, dass
er nicht danach gefragt hatte, ob man bei Havenstein Digitalkameras gefunden
hatte. Vielleicht gaben Fotografien Aufschluss über die aktuelle Arbeit.
Lüder rief Vollmers an. Der Hauptkommissar musste
nicht in seine Aufzeichnungen sehen.
»Nichts. Die Kollegen haben massenweise Zubehör
gefunden. Wechselobjekte, noch eingeschweißte Speicherchips, ein Ladegerät.
Aber keine Kamera. Der Täter ist trotz des enormen Zeitdrucks ausgesprochen
gründlich gewesen.«
»Und professionell vorgegangen«, fuhr Lüder fort. »Sie
haben berichtet, dass er nicht wahllos die Schränke leer geräumt hat, wie man
es dekorativ in manchen Fernsehkrimis sieht.«
»Richtig.«
»Bei mir verstärkt sich immer mehr die Vermutung, dass
wir es mit einem hochprofessionellen Gegner zu tun haben.«
Statt einer Antwort hörte Lüder nur einen tiefen
Seufzer aus dem Hörer. Nachdem er aufgelegt hatte, betrachtete Lüder kritisch
die Vorgänge auf seinem Schreibtisch. Dort türmten sich jede Menge Akten, die
es zu bearbeiten galt. Er griff sich einen Pappdeckel, schlug ihn auf, lehnte
sich zurück und las das Papier. Am Ende der Seite rieb er sich über die Augen,
als ihm bewusst wurde, dass er zwar etwas gelesen, den Inhalt aber nicht
aufgenommen hatte. Seine Gedanken kreisten unablässig um die Fragen, die sich
im Zusammenhang mit dem Mord an Robert Havenstein stellten. Es hatte keinen
Sinn, sich halbherzig mit den anderen Themen zu beschäftigen.
Mit einem Stoßseufzer stand Lüder auf und ging über
den Flur bis zum Geschäftszimmer, das gleichzeitig als Vorzimmer des
Abteilungsleiters diente. Kriminaldirektor Dr. Starke hatte nicht die
Gewohnheit seines Vorgängers Jochen Nathusius übernommen, die Bürotür stets
offen zu halten und für jeden seiner Mitarbeiter immer erreichbar zu sein.
Edith Beyer sah auf, als Lüder eintrat. »Hallo, Herr
Dr. Lüders«, sagte sie und lächelte ihn an.
»Wie oft soll ich noch sagen, dass ich für Sie weiter
der Herr Lüders bin. Wir kennen uns jetzt so viele Jahre.«
Die junge Frau holte tief Luft und senkte die Stimme.
»Das waren noch Zeiten, als der alte Chef noch da war.« Sie zeigte mit dem
Daumen über die Schulter Richtung Wand. »Der ist unerträglich. Ich weiß nicht,
ich werde nicht warm mit ihm.«
»Das wird Ihrem Freund aber gut gefallen«, lästerte
Lüder.
Sie lächelte eine Spur verlegen. »So meine ich das
nicht.«
»Das ist doch ein smarter Typ. Braun gebrannt,
sportliche Figur. Gut und geschmackvoll gekleidet. Elegante Erscheinung. Und
dumm ist er sicher auch nicht. Etwa mein Alter, aber Kriminaldirektor. Und ich?
Mir versagt man jede Beförderung.«
»Das ist doch etwas ganz anderes. Vielleicht gibt es
Frauen, die unserem Chef hinterherschauen, aber mein Geschmack ist er nicht.
Soll ich Sie anmelden?«
Lüder nickte.
Edith Beyer griff zum Telefon. »Herr Dr. Starke«,
sagte sie betont distanziert. »Herr Dr. Lüders möchte Sie sprechen.« Dann
lächelte sie ihn an, zeigte in Richtung Zwischentür und sagte: »Bitte.«
Lüder verbeugte sich überzogen tief. »Seine Eminenz
lässt bitten? Danke, Miss Geldpfennig.«
Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Geldpfennig!
Müssen Sie Moneypenny unbedingt übersetzen, James Lüders?«
Das Büro des Abteilungsleiters war größer als die
anderen auf dem Flur. Dr. Starke saß hinter seinem Schreibtisch und sah auf,
als Lüder eintrat. Er machte keine Anstalten, aufzustehen oder seinen
Mitarbeiter mit Handschlag zu begrüßen.
Die Fronten zwischen den beiden Männern waren abgesteckt.
Man mochte sich nicht. Schon während seiner Zeit in Flensburg eilte Dr. Starke
der Ruf voraus, übertrieben karrieresüchtig zu sein und, wenn es um seinen
Vorteil ging, auch jede Rücksicht gegenüber anderen missen zu lassen. Bei ihrem
ersten Zusammentreffen hatte der Kriminaldirektor Lüder gegenüber eine
Demonstration seiner Machtbefugnisse starten wollen. Lüder hatte sich dem nicht
gebeugt, sondern widersprochen und dem Vorgesetzten mit der Veröffentlichung
von Dingen gedroht, die die Karriere des Kriminaldirektors abrupt beendet
hätte. Es war ein gewagtes Spiel gewesen, denn Lüders Vorgehen war Nötigung,
wenn nicht gar Erpressung gewesen. Seitdem mieden die beiden den Umgang, wenn
es sich ermöglichen ließ.
»Mein lieber Lüders«, sagte Dr. Starke mit
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