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Sturmtief

Titel: Sturmtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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zu vergleichen.
    Nachdenklich beendete Lüder das Gespräch. Dann rief er
Sven Kayssen von der Pressestelle an und bat ihn um den Namen eines Vertreters
der Bürgerinitiative, die sich in Geesthacht gegen das Atomkraftwerk
engagierte. Er musste nicht warten.
    »Das haben wir gleich«, sagte Kayssen und nannte Lüder
den Namen eines Arztes. »Dr. Kai Feldkamp ist Facharzt für Kinder- und
Jugendmedizin.«
    »Ein Kinderarzt«, wiederholte Lüder für sich selbst.
»Das überrascht mich nicht.«
    Er fuhr ins Stadtzentrum zurück, fand einen Parkplatz
auf dem Oberdeck eines Einkaufszentrums und stand anschließend mitten in der
Fußgängerzone, der Bergedorfer Straße, der sparsame Stadtväter die Fahrspur
belassen hatten. Gegenüber residierte hinter einer schmucklosen Fassade ein
Kaufhaus. Zahlreiche Geschäfte säumten dicht an dicht den Weg. Auf Lüder wirkte
die Mischung der Baustile, darunter lieblos entworfene Zweckbauten, insgesamt
inhomogen. Ein Hubschrauber mit Münzeinwurf, aus dem ein kleiner Junge
hervorlugte und mit dem Mund Brummgeräusche zu simulieren versuchte, entlockte
Lüder ein Lächeln.
    Dr. Feldkamp hatte seine Praxis im »City Center
Geesthacht«, in dem neben zahlreichen Arztpraxen auch andere
Gesundheitsdienstleister und ein Rechtsanwalt residierten.
    Heute war Mittwochnachmittag, und Lüder war erstaunt,
dass der Arzt trotzdem praktizierte. Die Räume lagen in der ersten Etage. Im
Flur empfing ihn ein bunt gestalteter Tresen, von dem eine gestresst aussehende
junge Arzthelferin überrascht aufblickte, als Lüder eintrat. Suchend blickte
sie an ihm herunter und versuchte das Kind in seiner Begleitung zu orten.
    »Ich möchte Dr. Feldkamp sprechen«, bat Lüder.
    »In welcher Kasse sind Sie versichert?«, fragte die
Frau routinemäßig.
    »Privat«, erwiderte Lüder wahrheitsgemäß und zeigte
dabei ein ironisches Lächeln, das die Frau aber nicht wahrnahm.
    »Das Geburtsdatum Ihres Kindes«, fuhr die Arzthelferin
fort. Lüder schien es, dass sich ihre Haltung ein wenig entspannt hatte,
nachdem er seine Versicherung genannt hatte.
    Lüder nannte sein Geburtsdatum. Die junge Frau begann,
es in ihren Computer zu tippen. Plötzlich stutzte sie.
    »Das geht nicht«, sagte sie. »Das ist doch kein Kind.«
    »Richtig«, erwiderte Lüder gelassen. » Ich möchte
mit dem Doktor sprechen.«
    »Sie?« Die Frau sah Lüder mit großen Augen an.
    »Ja.«
    »In welcher Angelegenheit?«
    »Könnten Sie mir weiterhelfen?«
    »Ich weiß nicht, worum es geht«, antwortete sie
unsicher.
    »Eben.«
    Lüder hatte die Frau aus ihrem Konzept gebracht.
    »Nehmen Sie bitte einen Moment Platz.« Sie nickte mit
dem Kopf in Richtung eines Wartezimmers, aus dem durchdringendes Kindergejohle
drang.
    Jetzt zeigte Lüder der Frau seinen Dienstausweis und
bat darum, möglichst vorrangig zum Arzt vorgelassen zu werden.
    Es hätte nicht viel gefehlt, und die Frau auf der
anderen Seite des Tresens hätte salutiert und die Hacken zusammengeschlagen.
    Trotzdem dauerte es zwanzig Minuten, bis Lüder in das
Sprechzimmer gebeten wurde. In der Zeit hatte er Gelegenheit, Kinder von
wenigen Wochen bis – er schätzte – dreizehn Jahren zu beobachten. Während sich
zwei Dreijährige um ein schon arg demoliertes Modellauto balgten, wimmerte ein
einjähriges Mädchen unentwegt vor sich hin und animierte seine etwas jüngere
Nachbarin, in ein kraftvolles Krähen zu verfallen.
    Der Dreizehnjährige mit den langen Haaren sah entnervt
von seinem Comic auf. Ihm war anzusehen, dass er sich an diesem Ort deplatziert
fühlte. Dazwischen füllte der Austausch der Mütter den Raum. Lüder fing
Wortfetzen über gesunde Ernährung, teure Kinderkleidung und vor allem
außergewöhnliche Heldentaten des Nachwuchses auf. Wenn man dem Glauben
schenkte, was die Mütter über ihre Kinder erzählten, saß Lüder mitten unter
kleinen Einsteins.
    Dr. Feldkamp unterhielt mehrere Behandlungszimmer. So
musste Lüder noch eine Weile warten, bis die Tür schwungvoll aufgerissen wurde
und der Arzt erschien. Lüder schätzte ihn auf höchstens Mitte dreißig. Dr.
Feldkamp war ein Stück kleiner als Lüder und hatte kurze mittelblonde Haare. Ob
er vor Kurzem aus dem Urlaub zurückgekehrt oder Besucher eines Sonnenstudios
war, vermochte Lüder nicht zu sagen. Der durchtrainiert wirkende Mann kam mit
elastischem Schritt auf Lüder zu und reichte ihm die Hand. Es war ein
angenehmer und fester Händedruck. Der Arzt hatte auf den weißen Kittel
verzichtet. Er trug eine

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