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Sturmtief

Titel: Sturmtief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Nygaard
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auf ein Bild auf seinem Schreibtisch, auf
dem zwei kleine Mädchen zu sehen waren. Lüder schätzte die Kleinere auf drei
Jahre. Sie saß auf einer Schaukel in einem Garten und lachte aus ganzem Herzen
ihre ältere Schwester an, die vor dem Gerät stand und der Kleinen Schwung
gegeben hatte. Beide sahen glücklich und fröhlich aus.
    »Das sind meine«, sagte Dr. Feldkamp. »Ich möchte
nicht, dass sie oder andere Kinder erkranken. Dafür stehe ich.« Dann malte er
ein paar Kringel auf die Schreibtischunterlage, die von einem Pharmahersteller
stammte und aus Abreißblättern bestand. »Wissen Sie, wie grausam diese
Krankheit sein kann? Leukämie wird von vielen als Schlagwort verwendet, ohne zu
verstehen, was sich dahinter verbirgt.«
    Als Lüder schwieg, fuhr Dr. Feldkamp fort: »Leukämie
ist, vereinfacht ausgedrückt, ein Sammelbegriff für eine Erkrankung des
blutbildenden Systems. Die Anteile von roten und weißen Blutkörperchen und
Gerinnungsplättchen sind aus dem Lot geraten. Das Fatale ist, dass diese
Krankheit bei Kindern und jungen Erwachsenen viel akuter auftritt. Das liegt
daran, dass Kinder in der Immunlage noch nicht stabilisiert sind. Chronische
Formen gibt es fast gar nicht in diesem Alter. Erste Anzeichen sind vermehrte
Infekte, die Patienten werden kränklich und blutarm, haben vergrößerte Drüsen
und eine geschwollene Milz. Die Folge einer nicht therapierten Leukämie kann
der Tod durch eine fehlende Immunabwehr sein, wenn die Ursache in den weißen
Blutkörperchen liegt, Blutarmut bei den roten Blutkörperchen oder schlicht
durch Verbluten, wenn die Blutgerinnungsplättchen fehlen.«
    »Können Sie mir Kontakte zu betroffenen Familien
vermitteln?«
    Der Arzt nickte nachdenklich. »Ein betroffenes Kind
gehört zu meinen Patienten. Ich kann Ihnen versichern, dass die ganze Familie
darunter leidet. Auch die beiden gesunden Geschwister. Da werden ganze Leben
zerstört. Wer das nicht miterlebt hat, kann sich nicht vorstellen, wie grausam
das ist.« Dann schüttelte Dr. Feldkamp energisch den Kopf. »Ich werde Ihnen
keine Namen nennen. Weder von diesem Fall noch von Betroffenen, die ihr Kind
durch Leukämie verloren haben. Eine Ehe ist darüber zerbrochen. Die Mutter ist
psychisch zerstört. Dem Vater geht es auch nicht besser, obwohl er Halt in einer
neuen Verbindung gefunden haben soll. Sagt man. Ich habe keinen Kontakt zu
ihm.«
    »Hat Robert Havenstein auch nach den Kindern gesucht?«
    Dr. Feldkamp musterte Lüder lange. Es hatte den
Anschein, als würde er durch ihn hindurchsehen.
    »Der Journalist war hier. Er hat ähnliche Fragen wie
Sie gestellt. Natürlich habe ich keine Patientendaten preisgegeben. Ob er sich
die Namen auf andere Weise besorgt hat …?« Dr. Feldkamp zuckte mit den
Schultern. »Ich weiß es nicht.« Dann sah er auf seine Armbanduhr. »Noch etwas: Es geht nicht nur um das Atomkraftwerk hier vor Ort, sondern auch um die
Endlagerung. Wir hinterlassen unseren Nachkommen ein ungelöstes Problem. Das
ist vom medizinischen Standpunkt höchst bedenklich.«
    »Ist die Lagerung von CO 2 ,
wie man es für Ostholstein und Nordfriesland als Möglichkeit geplant hat,
vorteilhafter?« In Lüders Frage war der provozierende Unterton deutlich
vernehmbar.
    Der Arzt schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Verfechter
des St.- Florian-Prinzips nach dem Motto, dass vor meiner Haustür alles sauber
bleiben soll und es mich nicht stört, wenn sich die Menschen an anderen Orten
mit Umweltproblemen auseinandersetzen müssen.«
    »Haben Sie Kontakt zur Bürgerinitiative gegen die CO 2 -Einlagerung?«
    »Ja«, sagte Dr. Feldkamp und sah erneut auf die Uhr,
als markerschütterndes Kindergeschrei bis in den Behandlungsraum drang. »Ich
muss mich jetzt wieder um die kleinen Patienten kümmern.« Er stand auf und gab
Lüder die Hand. »Ach ja«, fiel ihm noch ein. »Es gibt eine lose Verbindung nach
Niebüll.«
    »Zu Albert Völlering?«
    »Genau«, bestätigte der Arzt und begleitete Lüder zur
Tür.
    Das war das zweite Mal, dass der Name des Niebüllers
fiel, stellte Lüder fest und nahm sich vor, mit Völlering zu sprechen.
Vielleicht hatte auch Havenstein diese Spur verfolgt und den gleichen Weg
beschritten, an dessen Ende der Tod auf ihn wartete.
    Als Lüder auf die Straße trat, blieb er stehen und
atmete die Herbstluft ein. Er schloss für einen kurzen Augenblick die Augen.
Falls sich entgegen allen Expertenmeinungen doch Radioaktivität in der Luft
befinden sollte, so würde man es nicht

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