Sturmwelten 01
abgewetzt und hatte bereits bessere Zeiten gesehen. Der Degen an seiner Seite bedeutete jedem, dass es sich bei ihm um einen Mann handelte, der sich seiner Haut zu erwehren wusste. Und das lange geübte Lächeln unter dem säuberlich gestutzten Schnurrbart drückte einen Hochmut aus, den Franigo zwar nicht empfand, der aber die Schakale des Viertels abhalten würde.
Bleiben nur noch die Wölfe , dachte der Poet, aber Wölfe reißen nur angemessene Beute. Für einen Moment ging ihm ein Vers, oder besser der Beginn eines Verses im Geist herum, eine kleine Spitzfindigkeit über Schakale und Wölfe, doch bevor sie endgültig Kontur annahm, bog er um eine Ecke; vor ihm erhob sich das Gefängnis von Rendont, im Volksmund Bettlerpalast genannt. Jetzt war sein Grinsen nicht mehr aufgesetzt, denn als er kurz innehielt, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Und hier kommt der König der Bettler, um Einlass zu verlangen und Hof zu halten. Er ist der ärmste aller Bettler, denn nicht einmal das wertloseste und kostbarste Gut von allen gewähren sie ihm: Aufmerksamkeit.
Er verachtete sich sogleich für sein Selbstmitleid, doch er behielt die Worte im Hinterkopf, denn sie schienen sich gut für ein Stück zu eignen. Stolz reckte er das Haupt und trat über den menschenleeren Platz. Sorgsam wich der Poet den Pfützen aus, den letzten Zeugnissen der wolkenbruchartigen Regenfälle der letzten Tage.
Die Pforte war groß und dunkel, und über seinem Kopf hockten steinerne Wasserspeier, Gargylen nachgeahmt, die ihn misstrauisch anzustarren schienen. Ihre Fratzen blickten blind herab. Einige Historiker behaupteten, dass die Gargylen mehr gewesen seien als animierter Stein. Dass sie Lebewesen gewesen seien, die nur von der Magie der Nigromantenkaiser versklavt worden waren. Wie dem auch sein mochte, im Bildersturm nach Corbanes Tod waren wohl alle noch existierenden Gargylen vom aufgebrachten Volk vernichtet worden. Selbst die steinernen Wasserspeier, die den Kreaturen nachgebildet waren, waren der Zerstörungswut zu weiten Teilen anheimgefallen. Umso unheimlicher wirkten diese hier.
Der ganze Bau war altmodisch, ein Relikt aus vergangenen Zeiten, düster, mit dicken, grauen Mauern, an denen Efeu emporwuchs. Einst war es eine Festung gewesen, doch das Wachstum der Stadt und die neuen Waffen dieser Zeiten hatten sie ihrer Nützlichkeit beraubt. Nun diente sie zu anderen Zwecken, was Franigo kurz zögern ließ. Vielleicht behalten sie mich gleich da. Lange kann es nicht mehr dauern, bis mein letztes Silber ausgegeben ist, und ich will verdammt sein, wenn mein Verleger mir noch einen Vorschuss gewährt!
Trotz dieser Gedankengänge klopfte er an. Es stand einem Hiscadi nicht gut zu Gesicht, Gefahren nicht offenen Auges entgegenzutreten, seien sie nun Konstrukte der eigenen Einbildung oder nicht. Es dauerte eine ganze Weile, bis endlich ein kleines Guckloch geöffnet wurde und eine schnarrende Stimme »Ja?« rief.
»Ich bin hier, um einen Freund zu besuchen. Mein Name ist Franigo …«
Bevor er den ganzen stolzen Namen seiner Familie aufsagen konnte, wurde das Guckloch wieder geschlossen. Verdutzt blinzelte Franigo, da öffnete sich die Pforte mit einem schabenden Geräusch.
»Kommt rein«, sagte der ältere Mann mit den schlohweißen Haaren, die ihm wirr über die Schulter hingen. Seine Stimme war rau, und er unterschlug die Pausen zwischen den Worten, wie es so viele Géronaee taten, als achteten sie ihre eigene Sprache nicht. Betont höflich verneigte sich Franigo: »Ich bin Euch zu Dank verpflichtet, Mesér.«
»Das kostet einen Lunar«, erwiderte der Wärter brüsk. Vorsichtig kramte Franigo in seiner Börse. Es tat nicht Not, dem Mann die Schlaffheit der Geldkatze zu zeigen, doch sich selbst konnte der Poet nicht betrügen; ein Silberlunar stellte inzwischen einen beträchtlichen Teil seines verbliebenen Vermögens dar, wenn man einige wenige Münzen denn überhaupt hochtrabend als Vermögen bezeichnen wollte.
Die Übergabe der Münze war für den Alten ein freudiges, für Franigo ein trauriges Erlebnis, doch er lächelte weiterhin und blickte den Wärter auffordernd an.
»Wen denn?«
»Imerol Alazraqui i Urnera.«
»Imi? Kauft Ihr ihn frei?«, fragte der Alte, fügte dann aber mit einem demütigend abschätzigen Blick auf Franigos Kleidung hinzu: »Wohl nicht.«
»Nein, Mesér, wie Ihr bereits mit Eurem messerscharfen Verstand erkannt habt, ist dies nur ein Besuch unter Freunden. Hättet Ihr nun also die Güte, dem
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