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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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lang gezogenen Aussprache merkte. Statt sich auf seine Probleme zu konzentrieren, kehrten Majaguas Gedanken immer wieder zu dem Jungen zurück. Ich müsste ihn hierlassen. Aber wenn er wirklich stark wäre, dann würde er selbst fliehen.
    Obwohl Majagua wusste, dass es nur vernünftig wäre, allein zu fliehen, spürte er einen eiskalten Knoten in seiner Brust, als er darüber nachdachte. Ich könnte zurückkehren. Oder die Blassnasen der Cacique von Thaynric holen, die keine Sklaverei mehr erlauben. Das würde nicht lange dauern , versuchte er sich einzureden. Ich bin nicht ihr Cacique! Sie müssen für sich selbst sorgen!
    Das Weinen war zu einem leisen, andauernden Schluchzen geworden. Vorsichtig richtete Majagua sich auf. Er wollte die anderen nicht aufwecken, damit er ihnen nicht ihren kostbaren Schlaf raubte. Auf allen vieren kroch er durch die Hütte und hockte sich neben den Jungen. Als dieser ihn bemerkte, schniefte er und versuchte, sein Weinen zu verbergen.
    »Wie heißt du?«, fragte Majagua leise.
    »Aymero.«
    »Aymero. Hat man dir jemals die Geschichte erzählt, wie die Nacht zu uns Paranao gekommen ist?«
    Der Junge schüttelte den Kopf. Im schwachen Licht des Mondes, das durch die schmale Tür in die Hütte fiel, konnte Majagua die Tränenspuren auf seinem Gesicht sehen, das rundlich und weich war. Das Gesicht eines Kindes, nicht das eines Mannes, der selbst fliehen konnte. Ich lasse dich nicht zurück , versprach er in Gedanken. Laut fuhr er fort: »Als Anui die Sonne hütete, da gab es keine Nacht für uns Paranao, nur Licht und Tag. Aber die Paranao waren müde, und sie wollten sich ausruhen. Also gingen sie zu der Maus und fragten sie nach ihrer Nacht. Die Maus lieh ihnen ihre Nacht aus, aber die Nacht der Maus war kurz und reichte gerade so, um einen Happen zu essen und ein paar Züge aus der Pfeife am Feuer zu nehmen, bevor sie zu Ende ging, und kaum einer hatte die Augen geschlossen, ehe der Morgen kam. Also gingen sie zum Tapir und fragten den. Die Nacht des Tapirs war viel länger, und die Paranao aßen und rauchten und schliefen lange. Aber die Nacht des Tapirs war so lang, dass zu viel Zeit verging. Der Wald war vorgedrungen, und das Unterholz war ins Dorf gewachsen und hatte die Hütten zerstört. Sie suchten sehr lange nach einem weiteren Tier, und schließlich fanden sie das Gürteltier und liehen sich dessen Nacht. Die war genau richtig, und sie konnten essen und rauchen und schlafen und gaben sie nie mehr zurück. Deshalb schläft das Gürteltier am Tag, weil es keine Nacht mehr hat.«
    Zufrieden sah Majagua die großen Augen des Jungen, der ihm gespannt zuhörte. Vorsichtig legte er sich neben ihn und nahm ihn in den Arm, wie er es zu Hause mit seinem jüngeren Bruder getan hatte.
    »Deshalb musst du in der Nacht schlafen, Aymero, damit du wach bist, wenn Anui am Himmel über uns wacht. Denn du bist ja kein Gürteltier, das bei Tag schläft, oder? Schlaf, kleiner Bruder. Schlaf.«
    Seine gemurmelten Worte schienen den Jungen zu beruhigen, und schon bald hörte Majagua die regelmäßigen Atemzüge Aymeros. Er selbst jedoch lag noch lange wach und starrte in die Dunkelheit, in der Anui dieser Insel noch ferner war als am Tage. Er dachte an seine Familie, an seine Geschwister, über die er sich lustig gemacht hatte, wenn sie sich im Dunkeln fürchteten, und die dennoch bei ihm Schutz gesucht hatten.
     
    Mit dem Sonnenaufgang kam ein großes Schiff mit vielen weißen Segeln in die Bucht und warf dort Anker. Zuerst vermutete Majagua, dass es ein Sklavenschiff sei, das eine Ladung weiterer Halbtoter und ganz Toter brachte, doch Dagüey klärte ihn auf: »Das Schiff, das euch hierher gebracht hat, hat nicht alles mitgenommen. Heute müssen wir nicht auf die Felder oder in die Minen, sondern beladen dieses Schiff hier.«
    »Das Schiff ist groß«, stellte Majagua beeindruckt fest. »Auf so ein Schiff müssen viele Menschen passen.«
    Von seinem Dorf aus hatte er schon früher die Schiffe der Blassnasen gesehen, doch diese waren immer weit entfernt vorbeigesegelt, um zu dem Dorf der Cacique von Thaynric zu gelangen. Als man ihn auf das Sklavenschiff getrieben hatte, war es das erste Mal gewesen, dass er diese gewaltigen Holzschiffe aus der Nähe sah.
    »Kommen oft Schiffe?«, fragte er den Alten, der nickte: »Manche bringen Vorräte und holen andere Dinge ab. Manchmal bringen sie auch neue Soldaten oder nehmen welche mit. Dann gibt es die schweren Schiffe mit den neuen Sklaven. Zuweilen

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