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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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Antrieb. Sie liefen mit ihren Schalen eilig nach vorne, blieben jedoch darauf bedacht, nicht zu drängeln. Denn dann kamen die Soldaten und schufen mit den Kolben ihrer Musketen Platz. Das Brot wurde wieder von dem Mädchen verteilt, das Majagua gestern beigestanden hatte. Er musste schlucken, als er sie sah, dabei wusste er nicht einmal, warum. Mit schwerer Hand nahm er seine Schale und schlich zu der großen Gruppe.
    Unsicher hielt er sich am Ende der Schlange und schlug die Augen nieder. Schließlich gelangte er zu den Essensausteilern und streckte seine Schale vor. Er wagte nicht, dabei aufzusehen. Erst als niemand seine Schale füllte, blickte er hoch. Die rundliche, alte Frau schaute ihn finster an, hob demonstrativ langsam ihre Kelle und kippte den zähflüssigen Brei in seine Holzschale. Neben ihr stand das Mädchen, sah ihn jedoch nicht an. Sie legte ein Stück Brot auf seinen Eintopf. Gerade als er sich abwenden wollte, flüsterte er: »Danke.«
    Das Wort kam ungewollt über seine Lippen und erschrak ihn selbst. Jetzt hob sie ihren Blick, und er konnte ihre dunklen Augen sehen, die im letzten Licht der Sonne funkelten.
    »Was?«
    »Danke. Du hast mich gerettet, obwohl ich Schuld hatte.«
    »Du bist ein dummer Schafsjunge. Sie hätten dich an die Balken gehängt. Oder Tangye hätte dich totgeschlagen, und das wollte ich nicht sehen«, erklärte sie. Überrascht stellte er fest, dass sie nun in seiner Zunge sprach, obwohl sie am ersten Tag in der Sprache der Fremden geredet hatte.
    »Schafsjunge?«
    »Vergiss es. Du musst mir nicht danken. Wenn sie dich aufgehängt hätten, dann hätten wir alle zusehen müssen. Ich habe Besseres zu tun«, erwiderte sie kühl.
    »Du bist auch eine Sklavin«, stellte Majagua fest. Inzwischen fragte er sich, wie er das nicht hatte sehen können. Wollte ich es nicht sehen?
    »Natürlich. Was dachtest du denn? Dass ich den ganzen Tag in der heißen Küche stehe und das Essen koche, weil mir die Arbeit so viel Freude macht?«
    Ihr Spott kratzte über Majaguas Seele, ließ Zorn in ihm frei. Er wollte ihr wehtun, sie beschimpfen, doch bevor er die richtigen Worte fand, erkannte er den Grund seiner Wut. Ich. Mein Gewissen.
    Anstatt sie zu verhöhnen, sagte er leise: »Du wurdest bestraft. Das tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte es wiedergutmachen.«
    Der Blick in ihren Augen war für den jungen Paranao unergründlich dunkel, und die Gefühle lagen dahinter wie unter einem Nebelschleier verborgen.
    »Tut dein Arm noch weh?«, fragte sie schließlich. Majagua strich sich vorsichtig über den verkrusteten Striemen. Stolz ließ ihn den Kopf schütteln, und sie lächelte, als würde sie verstehen, dass er es nicht zugeben konnte. Einige Herzschläge lang schwiegen beide, dann unterbrach sie die alte Frau: »Wir müssen zurück, Sinao.«
    Das Mädchen nickte langsam, bückte sich und hob ihren Korb auf. Unbeholfen stand Majagua da und wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Die Festungssklaven gingen fort und ließen ihn mit seiner Essensschale allein zurück.
    Doch nach wenigen Schritten drehte sich Sinao noch einmal um. »Wie heißt du?«
    »Majagua.«
    Wieder blickte sie ihn an, dann wandte sie sich endgültig ab und folgte den anderen Sklaven aus dem Lager hinaus.
     
    Lange lag Majagua noch wach in seiner Hütte und dachte über den Tag nach, während er den Atemzügen und dem Husten der Schläfer lauschte. Die einzige Hoffnung auf Flucht lag auf dem Meer, und selbst dieser Weg war schmal und gefährlich. Es musste ihm gelingen, ein Kanu zu bauen und mit diesem den Schiffen der Blassnasen zu entkommen.
    Sein Volk lebte schon immer auf den Inseln, seit Anui am Anbeginn der Welt aus der Höhle auf der mythischen Insel Cashina getreten war. Der Sonnenhüter selbst hatte das erste Kanu erbaut und sein Volk in der Kunst der Seefahrt unterwiesen. So hatte Majagua das Schwimmen noch vor dem Laufen gelernt, und er war ein ausdauernder und schneller Ruderer. Aber ein Kanu mit einer Axt und den heißen Steinen zu bauen war laut, und man konnte den Rauch des Feuers weit sehen. Und es würden nur wenige hineinpassen. Soll ich allein fliehen? Es wird schwer werden, auch nur ein Kanu zu bauen; wie soll ich genug für alle schaffen?
    Nicht weit von ihm entfernt weinte ein Junge, der noch jünger als er selbst war. Immer wieder rief er nach seiner Mutter und seinem Vater. Doch natürlich antwortete niemand. Der Junge war auch ein Paranao, aber von einer anderen Insel, wie Majagua an seiner

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