Sturmwelten 01
handeln, aber ich habe nicht darüber nachgedacht, ob es in der Sturmwelt noch Sklaven gibt«, murmelte Jaquento und fühlte sich seltsam ertappt.
»Es gibt noch genug Kolonien von Géronay und Hiscadi und zudem die freien Inseln, wie den Viererbund. Überall dort sind Sklaven legal. Außerdem interessiert es niemanden, was hier mit Eingeborenen passiert. Und zur Not werden sie zu den Städten der Mauresken gebracht; es heißt, dass sie gut für Sturmwelten-Sklaven bezahlen.«
»Das wusste ich nicht«, erklärte Jaquento. »Ich habe immer gedacht, dass es inzwischen nur noch Leibeigene gibt. Als es hieß, die Thayns haben die Sklaverei in den Kolonien verboten, nahm ich an, dass es überall so sei.«
»Du dachtest, die Hiscadi hätten keine Sklaven mehr?«, warf Rahel ein und lachte boshaft. »Die haben am lautesten geschrien, als ihre Sklavenschiffe von den Thayns aufgebracht wurden! Und glaubst du wirklich, dass es den Leibeigenen viel besser ergeht als den Sklaven?«
»Ein guter Lehnsherr beschützt seine Bauern«, erklärte Jaquento hitziger, als er es eigentlich vorgehabt hatte. »Und er ist nicht Herr über Leben und Tod, wie es die Sklavenhändler sind.«
»Wie dem auch sei«, erklärte Deguay. »Dieses Sklavenschiff ist unsere Beute. Ich will dafür Ruhe an Deck, klar?«
Beinahe gemächlich näherten die beiden Schiffe sich einander, und Jaquento rechnete jeden Moment mit einem Alarmschrei an Bord des Händlers, doch nichts dergleichen geschah. Er konnte nur wenige Gestalten an Deck erkennen, hauptsächlich auf dem geschützten Achterdeck.
»Ein schönes Schiff«, flüsterte Rahel. »Auf Geschwindigkeit gebaut.«
»Kein Wunder«, erwiderte Deguay. »Jeden Tag stirbt ein Teil der wertvollen Fracht. Je schneller man am Ziel ist, desto höher der Gewinn.«
»Wieso bemerken sie nichts?«, wunderte sich der junge Hiscadi.
»Die Todsünde ist von géronaischer Bauart. Und sie war mal ein Sturmweltenschiff, bevor wir sie für unsere Zwecke … übernommen und ausgestattet haben. Wir sind unauffällig, Freund Jaquento, ein einfacher Händler, so wie das Sklavenschiff dort.«
Abgesehen von einigen Drehbassen konnte Jaquento keinerlei Bewaffnung erkennen. Die kleinen, schwenkbaren Geschütze waren allesamt so montiert, dass sie über die Brüstung auf das darunterliegende Deck feuern konnten. Wenn sich dort halb nackte, ausgemergelte Sklaven versammeln, um das Achterdeck zu stürmen, kann man die Revolte mit den Drehbassen beenden, ohne das eigene Schiff zu gefährden, dachte Jaquento bitter. Er wollte sich nicht vorstellen, welch blutige Wirkung Schrotladungen auf diese Distanz wohl hätten. Kanonen mochte das Sklavenschiff nur wenige haben, doch sie besaß eine stattliche Anzahl der kleinen Geschütze, die besonders gegen Menschen effektiv waren.
Inzwischen waren sie auf Rufweite herangekommen, und auf dem Achterdeck des Sklavenhändlers tauchte eine Gestalt auf, die ihre Hände an den Mund legte: »Ahoy!«
Mit einer ausladenden Verbeugung hob Deguay seinen federgeschmückten Hut.
»Handelsschiff Wyrdem , Capitane Loress«, rief der Mann auf Géronaisch und lüftete ebenfalls seine Kappe.
»Wyrdem? Wie der Hafen?«, fragte Rahel verwundert.
»Wie der größte Sklavenumschlagplatz in der ganzen Sturmwelt«, erwiderte Deguay mit Kälte in der Stimme, behielt jedoch das breite Lächeln bei. Mit donnernder Stimme antwortete er ebenfalls auf Géronaisch: »Die Todsünde hier, Capitane Deguay. Wir müssen Euch bitten, Capitane, Eure Farben zu senken und uns Euch und Euer Schiff zu übergeben!«
Die Botschaft schien nicht anzukommen, denn sekundenlang geschah einfach nichts. In die Stille hinein brüllte Deguay: »Hisst unsere Flagge! Kanonen klar zum Feuern!«
Innerhalb weniger Augenblicke senkte sich die géronaische Flagge am Heck und wurde von einem schwarzen Tuch ersetzt, das im Wind flatterte. Ein weißer Totenkopf im Profil, unter dem gekreuzte Säbel zu sehen waren, ließ keinen Zweifel an den Absichten des Schiffes, das unter dieser Flagge segelte. Der Totenschädel trug eine Augenbinde, die über die Stirn geschoben war.
Von der Wyrdem hörte man Befehle, die Schiffsglocke wurde geläutet, und unvermittelt fiel der Sklavenhändler ab, doch er strich seine Flagge nicht. Auf der Todsünde öffneten sich die Geschützluken, und die Kanonen wurden rumpelnd ausgefahren.
»Schießt auf die Takelage! Feuer frei!«, ertönten die Befehle des Kapitäns, und die Kanonen brüllten ihre feurige Antwort
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