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Sturmwelten 01

Sturmwelten 01

Titel: Sturmwelten 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hardebusch
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Sklavin. Erst als sie Schritte hörte, hob sie den Blick etwas. Brizula kam auf sie zu, die Augen weit aufgerissen. Als die Alte dicht heran war, flüsterte sie: »Wo warst du? Wir sollen den Sklaven Wasser bringen!«
    In einem einzigen, kurzen Schluchzen entlud sich Sinaos ganze Anspannung. Stumm nickte sie und reihte sich in die Gruppe der Küchensklaven ein. Vorsichtig riskierte sie einige Blicke; doch sie entdeckte keine Aufseher, keine Soldaten.
    »Weiß jemand, dass ich weg war?«, fragte sie leise. Beide wussten, dass jemand nur Tangye sein konnte. Sie spürte Brizulas Kopfschütteln mehr, als dass sie es sah. Warum tue ich das? Warum, warum, warum?
    Als sie die Gruppe der Sklaven erreichten und Sinao mit Krug und Kelle umherging und jedem zu trinken gab, war ihre Stimme fest und ruhig, so anders als der Sturm in ihrem Herzen.
    »Wohin bist du gelaufen?«, fragte unvermittelt eine leise Stimme neben ihr. Es war Majagua, der sie unverwandt aus seinen dunklen Augen anstarrte.
    »Ein Auftrag«, murmelte Sinao. »Ich musste schauen …«
    »Kommen oft Schiffe? Also so große?«, erkundigte er sich eifrig und wies hinaus in die Bucht. Mit einem Nicken sah Sinao zu den Seeleuten hinüber, die mit einem Boot voll Säcken zum Schiff ruderten. Seine Augen wanderten sehnsüchtig zum Wasser, und er kehrte ihr die Seite zu. Schön ist er, der Schafsjunge, dachte Sinao. Mit seinem schmalen Gesicht und den dunklen Augen. Und der goldenen Haut, die bald vom Staub und der Arbeit grau werden wird, faltig, als wäre sie zu groß für seinen Leib.
    Er drehte sich ihr zu, blickte sie unverwandt an, und sie erschrak, beinahe so, als würde sie glauben, dass er ihre Gedanken gelesen hatte. Närrin, schalt sie sich selbst.
    »Weiß einer von euch, wo wir hier sind? Wo diese Insel liegt?«
    Verwirrt blickte Sinao den jungen Paranao an. »Was meinst du?«
    »Die Namen anderer Inseln. Ob sie bei der aufgehenden Sonne liegen oder bei der untergehenden. Vielleicht den Namen eines Cacique. Kannst du mir irgendetwas darüber sagen?«
    »Warum willst du das wissen?«
    Diesmal schwieg Majagua und zog trotzig die Schultern hoch. Wieder wanderte sein Blick zu dem Schiff, und Sinao verstand.
    »Du willst fliehen! Denk nicht daran, Majagua! Jeden, der wegläuft, finden sie. Und sie töten sie alle. Tangye selbst knotet ihnen das Seil um den Hals. Und dann werden sie hochgezogen.« Sie schaute ihn beschwörend an. »Es dauert lange, und sie zappeln, und ihre Gesichter werden rot und die Augen groß …«
    Ihre Stimme versagte. »Ich … ich träume davon. Von den Augen. Man kann es sehen, den Moment, wenn sie zu den Ahnen gehen. In den Augen.«
    Um sie herum war es still. Die anderen Sklaven guckten nicht zu ihnen hinüber. Majagua kaute auf seiner Unterlippe, seine Augen wanderten hierhin und dorthin. Als habe er einen Entschluss gefasst, hob er plötzlich den Kopf und sah sie fest an.
    »Soll ich einfach nur abwarten? Mich mit meinem Schicksal abfinden, wie ihr alle hier? Jeden Tag arbeiten, bis mein Haar weiß wird? Bis ich tot umfalle? Bis ich huste und Blut spucke? Jeden Tag nichts als Angst, Schmerz und Hunger spüren? Ja, Mister Tangye, nein, Mister Tangye«, höhnisch ahmte er die ängstlichen Worte Sinaos nach. »Zu den Ahnen gehen wir alle, aber ich will meinen Kopf hochhalten, wenn ich gehe, ich will ihnen in die Augen sehen können!«
    »Dann bist du bereits tot, Majagua«, erwiderte Sinao leise und wandte sich ab. Es war besser, jetzt zu gehen, ihn jetzt zu vergessen, als den Schmerz zu spüren, wenn sie seinen Tod sah. Ich hätte gegen dich wetten sollen, Schafsjunge. Mein Herz hart machen, so wie die anderen es getan haben. Sie konnte seinen Blick spüren. Die Verachtung, die er für sie empfand, brannte heiß in ihr, doch es war besser so. Er würde sterben, und sie würde leben.
     
    In dieser Nacht war es dunkler als sonst. Um Sinao herum schien die Finsternis zu atmen, und immer, wenn die Sklavin die Augen schloss, tanzten Schemen hinter ihren Lidern. Schlaf wollte sich nicht einstellen, nur schweißtreibender, lähmender Halbschlaf, der quälende, zu echt wirkende Träume mit sich brachte.
    Im Wind drehten sich die Erhängten an ihren Seilen, eine endlose Reihe von Toten, mit aufgequollenen Gesichtern und dunklen Lippen. Sinao sah all die Toten, die dort schon geendet waren, aber auch Brizula hing dort, Bebe und der Schafsjunge. Die Seile knarzten, und an einem hing Sinao selbst. Erschreckt riss sie die Augen auf. Es dauerte

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