Sturmwelten 02. Unter schwarzen Segeln
Ihre Miene blieb gleichgültig. Noch eine Lektion des alten Mannes, der sie gelehrt hatte, ihre Gefühle stets unter Kontrolle zu halten und sie niemals zu zeigen.
»Die Ladung ist wichtig. Alles andere ist zweitrangig. Die Ladung muss ihr Ziel erreichen.«
»Alles andere ist zweitrangig«, murmelte Deguay und lächelte dünn. Dann nickte er. »Ich habe das vermutet, aber ich wollte sichergehen, dass es nicht Ressentiments geben könnte, wenn wir zu … unkollegialem Verhalten gezwungen werden.«
»Ich mag die Richtung, die dieses Gespräch einschlägt, ganz und gar nicht«, stellte Tareisa trocken fest.
»Aber das ist der Krieg«, erwiderte Deguay und breitete die Arme aus. »Er zwingt einen oft dazu, Dinge zu tun, die man ganz und gar nicht mag.«
»Wenn die Frage ist, ob wir unsere Begleitschiffe im Notfall zurücklassen können, so lautet die Antwort ja. Es gibt nur wenig, was wir nicht zurücklassen würden, wenn es die Situation gebietet«, fügte die Maestra bedeutsam hinzu. Sie wusste, dass der Capitane sie verstand, auch wenn er vermutlich annahm, dass sie sich selbst ausschloss.
Die Fregatten, das Schiff, die Mannschaft, Euch, mich, alles , dachte Tareisa bei sich, während sie das fremde Schiff beobachtete, das mit geblähten Segeln durch die grau wütende See pflügte, als gelte es, dem Wind selbst davonzulaufen.
ROXANE
Die Zeit für Fragen würde bald vorbei sein. Die beiden Fregatten hatten Abstand zu den beiden anderen Schiffen gewonnen und sich von der Küste entfernt, um mehr Seeraum für Manöver zu haben, aber die Mantikor besaß den Vorteil, da sie mit dem Wind angriff. Die Todsünde und die Totwey fuhren mit gerefften Segeln auf der Leeseite ihrer Beschützer, um diese nicht zu überholen, die Fregatten indes leicht versetzt dicht hintereinander, um das Gewicht ihrer Breitseiten zu maximieren.
Das war die Sorge, die Roxane umtrieb. Denn eine der Fregatten hatte sich als ein Schiff von achtunddreißig Kanonen entpuppt, deren Hauptlast in Achtzehnpfündern lag. Sie allein wäre ein würdiger Gegner für die Mantikor gewesen, aber sie wurde von einer Fregatte von zweiunddreißig Kanonen begleitet. Und auch wenn diese ihrer Größe nach vermutlich nur Zwölfpfünder auf dem Geschützdeck führte, war die Mantikor hoffnungslos unterlegen. Und sie haben die Gunst der ersten Salven , dachte Roxane bei sich. Ihr Schiff segelte direkt auf die beiden Gegner zu, mit vollen Segeln und geschlossenen Stückpforten. Die See war weiterhin rau, aber die Mantikor bot dennoch ein deutliches Ziel.
Wie zur Antwort auf Roxanes Gedanken blühte weißer Rauch erst an einem Schiff auf, dann am anderen. Die ersten Salven fielen zu kurz, Wasserfontänen erhoben sich und brachen
schäumend in sich zusammen. Der Donner der Kanonen erreichte sie erst, als die ersten Seeleute schon unflätige Beleidigungen riefen und die Fäuste in Richtung der géronaischen Schiffe reckten.
»Sorgen Sie für Ruhe auf dem Deck«, befahl Roxane, und ihre Order wurde sogleich weitergetragen. Besorgt blickte sie zu den Matrosen empor, die sich auf den Rahen befanden. Die Géronaee hatten die Angewohnheit, im Gefecht hoch zu zielen, um die Takelage des Feindes zu zerstören. Für üblich würde Roxane dies für die schlechtere Strategie halten, doch da sich der größte Teil der fähigen Besatzung ihres Schiffs genau dort befand, sah sie den ersten Treffern mit Sorge entgegen.
»Leutnant Cudden, ich denke, es ist an der Zeit, Ihre Leute an den Masten zu positionieren. Geben Sie Ihren Schützen den Befehl, vor allem die Offiziere ins Visier zu nehmen.«
»Aye, aye, Thay. Was ist mit den géronaischen Scharfschützen?«
»Priorität haben die Offiziere des Feindes. Wir haben nicht die nötigen Ressourcen, um uns gleichzeitig gegen die Schützen zu verteidigen«, erwiderte Roxane nach kurzer Überlegung. Auf den feindlichen Schiffen würden ebenfalls Soldaten in die Takelage steigen und von dort aus das Deck der Mantikor unter Beschuss nehmen. Aber es galt, in kürzester Zeit so viel Verwüstung wie möglich anzurichten, und die Kommandoketten zu zerstören war eine der wirkungsvollsten Möglichkeiten in dieser Hinsicht. Diese Strategie würde sie zwar ungeschützt dem Feuer der gegnerischen Scharfschützen aussetzen, aber Roxane war gewillt, dieses Risiko einzugehen. Und da ich das hauptsächliche Ziel sein werde, scheint mir die Entscheidung fair zu sein .
War der Kapitänin die Fahrt der Mantikor vor wenigen Minuten noch wie ein
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