Sturmzeit
jung aus, ohne ihre Kadettenuniformen. Fast noch wie die zwei kleinen Jungen, die früher auf Lulinn herumgestromert waren. Daß sie nicht mehr Indianer spielen, ist auch alles, dachte Felicia liebevoll, gar nicht vorzustellen, daß sie einmal richtig erwachsene Männer sein werden, die heiraten und Kinder haben. Für mich werden sie immer so bleiben, wie sie heute sind!
Langsam kamen sie auf das Herrenhaus zu. Felicia ließ ihr Pferd im Schritt trotten, damit die Jungen nebenhergehen konnten. Aus den Fenstern des Eßzimmers fiel Kerzenschein in die Dunkelheit. Ein Knecht eilte herbei, um Felicias Pferd in den Stall zu bringen. Felicia strich sich über ihr Reitkostüm.
»Wir müssen uns wohl noch umziehen«, meinte sie, »Tante Gertrud fängt ja an zu schreien, wenn sie uns so sieht!«
»Auf ein paar Minuten kommt es jetzt nicht mehr an«, sagte Jorias, »Ärger kriegen wir sowieso.« Einträchtig betraten sie das Haus. Jadzia kam ihnen wie ein geheimnisvoller, kleiner Schatten entgegen. In der Hand hielt sie einen Strauß roter Rosen.
»Schöne Blumen«, flüsterte sie, »sind von Boten gebracht worden für Fräulein Felicia!«
»Was, für mich?«
»Aus Insterburg. Von fremdes Herr!« Jadzia hatte diebeiliegende Karte offenbar schon eingehend studiert. Felicia griff aufgeregt danach. »Oh... sicher von Maksim!« entfuhr es ihr.
Christian lachte. »Der ist doch in Berlin.«
»Bote hat erzählt Nachricht«, fuhr Jadzia fort. Sie sah sich vorsichtig um. »Österreich hat gestellt Ultimatum an Serbien. Will Serbien unter Kontrolle. Oh... wird geben Krieg! Wird Deutschland gehen auf Seite von Österreich, wird Rußland gehen auf Seite von Serbien. Großer Krieg!«
»Ach, Unsinn, Jadzia«, sagte Felicia ärgerlich. Sie hatte gerade entdeckt, daß die Blumen nicht von Maksim kamen, sondern von einem Mann, den sie überhaupt nicht kannte. Alex Lombard. »Ich war kürzlich in Berlin Gast Ihres Bruders, Oberleutnant Degnelly«, schrieb er, »ich sah Ihr Bild in der Wohnung. Da ich geschäftlich in Insterburg war, wollte ich mich auf diese Weise bei Ihnen vorstellen.«
»Wie merkwürdig«, murmelte Felicia, »er kennt mich doch gar nicht!«
Jorias und Christian begannen eifrig über das österreichische Ultimatum zu diskutieren. »Serbien begibt sich nicht freiwillig unter österreichische Kontrolle«, rief Jorias, »nie!«
»Aber sie riskieren auch keinen Krieg.«
»Wenn sie tatsächlich mit russischer Hilfe rechnen können...«
Felicia hörte nicht zu. Sie stieg langsam die Treppe hinauf. Ihre Finger spielten mit den Rosen, deren tiefrote Blüten im Dämmerlicht fast schwarz aussahen. Rote Rosen... was hatte dieser fremde Mann in ihrem Bild gesehen, daß er ihr rote Rosen schickte?
Gut zu wissen, daß es andere Männer gibt als Maksim Marakow, dachte sie, und ihre Phantasie begann sich mit dem geheimnisvollen Alex Lombard intensiv zu beschäftigen. Ob ich ihn jemals kennenlernen werde?
Unter den Linden vor der Universität fand eine Demonstration statt. Unwillkürlich verhielt Maksim seinen Schritt. Es waren zehn Frauen, die dort Plakate trugen und Flugblätter verteilten, Studentinnen, wache, intelligente Gesichter. Es hatten sich mindestens fünfzig Passanten eingefunden, die das Geschehen beobachteten. In einiger Entfernung standen zwei Polizisten, die unschlüssig schienen, ob sie eingreifen sollten. Als sich Maksim durch die Menge drängte, konnte er von allen Seiten leise gemurmelte oder ungeniert laute Kommentare hören.
»Suffragetten! So was gehört eingesperrt!« - »Was diese Weiber brauchen, sind Männer, die ihnen beibringen, daß sie Frauen sind!« - »Heiraten sollten sie und Kinder kriegen. Das würde ihnen die Flausen austreiben!« - »So was wie die nimmt doch kein Mann!«
Maksim stand jetzt in der vordersten Reihe. Eine Frau mit großen dunklen Augen trat auf ihn zu und reichte ihm ein Flugblatt. Unter dem mißbilligenden Murren der Menge ergriff Maksim das Papier und überflog den Text. Die Verfasserin prangerte in scharfen Worten die Diskriminierungen an, denen Frauen noch immer an der Universität ausgesetzt waren. Offiziell wurden sie zwar zum Studium zugelassen, aber es gab Professoren, die sich weigerten, Frauen an ihren Seminaren teilnehmen zu lassen, oder die während ihrer Vorlesungen die Zuhörerinnen so bissig und anzüglich traktierten, bis diese freiwillig den Hörsaal verließen.
»Wir fordern gleiches Recht für Männer und Frauen an deutschen
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