Sturmzeit
Hochschulen!«
»Richtig«, sagte Maksim, »es ist unbedingt richtig, sich dafür einzusetzen.«
»Ach nein«, entgegnete die dunkeläugige Frau ironisch, »wie großzügig von Ihnen!«
Maksim kam sich plötzlich idiotisch vor. »Verzeihen Sie. Was ich sagen wollte, war eigentlich nur...«
»... daß Sie ein Mann von liberaler Weltanschauung sind, ich verstehe.«
Maksims Augen tauchten wie hypnotisiert in ihre. Er senkte seine Stimme, schloß damit alle Menschen ringsum aus und machte sie beide inmitten der lauten Menge zu Komplizen.
»Ein Mann von sozialistischer Weltanschauung!«
»Oh...«, sie lächelte. Maksim begriff, was ihn an ihren Augen so faszinierte. Sie waren fiebernd, hungrig, fanatisch. Das waren die Augen, nach denen er, ohne es zu wissen, immer gesucht hatte. »Ich heiße Maksim Marakow«, sagte er unvermittelt und dachte gleich darauf: Sie empfindet mich wahrscheinlich als ziemlich plump und aufdringlich.
»Ich bin Maria Iwanowna Laskin«, entgegnete sie gelassen, »Mascha. Meine Freunde nennen mich Mascha.«
Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um, ließ Maksim stehen und reihte sich wieder in die Kette der Demonstrantinnen ein.
3
Felicia fing an, das Leben auf Lulinn äußerst ungemütlich zu finden. Jeder sprach nur noch über den Krieg. Ob sie morgens ins Eßzimmer kam, wo Laetitia und Belle bei einer letzten Tasse Tee saßen, ob sie hinunter in die Küche ging, wo Jadzia zwischen Schüsseln und Pfannen hin und her eilte, ob sie sich ein Pferd aus dem Stall holte und die Knechte aufscheuchte, die Zigaretten rauchend auf einem Heuballen saßen, überall war man gerade dabei, über den Krieg zu reden. Serbien hatte sich in seiner Antwort an Österreich bereit erklärt, gegen die Feinde Österreichs im eigenen Land mit scharfen Maßnahmen vorzugehen, aber es beharrte auf seiner Souveränität. Österreich brach daraufhin die diplomatischen Beziehungen ab und ordnete eine Teilmobilmachung an. Was sollte Deutschland tun? Wie würden die Russen reagieren? Und was war mit England, mit Frankreich? Die Meinungen gingen hin und her. Ferdinand humpelte am Arm seines Sohnes Victor über den Hof und schimpfte ohne Unterlaß. Seine Wut gründete sich auf die unausweichliche Erkenntnis, daß jeder künftige deutsche Krieg ohne ihn würde stattfinden müssen, womit ein Sieg zweifellos von vornherein ausgeschlossen war. Mit seinem Spazierstock zeichnete er gigantische Schlachtpläne in den Sand vor dem Hauptportal, ließ imaginäre Divisionen zu Dutzenden aufmarschieren, die eine russische Invasion in Ostpreußen zurückschlagen sollten. Es kam zu einer regelrechten Familienkrise, als der tolpatschigen Modeste eines Tages das Pferd durchging und mitten durch Großvaters mühevoll ausgearbeitete deutsche Rettung galoppierte. Sekundenschnell war alles zerstört. Ferdinand belegte Modeste mit Schimpfworten, die zu vulgär waren, als daß irgend jemand aus der Familie sie später hätte wiederholen können. Gertrud stellte sich vor ihre Tochter und verlangte eine Entschuldigung.
Daraufhin brach Ferdinands jahrelang aufgestauter Zorn gegen sie los. Lautstark erklärte er ihr, wer sie war und was sie war, so erbarmungslos und so treffend, daß sich Gertrud nie wieder ganz davon erholte und die übrige Familie beinahe Mitleid mit ihr bekam.
»Bevor der Krieg anfängt, schlagen wir uns hier noch die Köpfe ein«, sagte Laetitia schließlich, »Schluß jetzt! Ich will kein böses Wort mehr hören!«
Jadzia heizte die Stimmung noch mehr an, als sie gerade in diesem Augenblick das Zimmer betrat und Tante Belle ein Telegramm übergab. Es kam von Belles Mann aus Petersburg.
»Er möchte, daß Nicola und ich sofort nach Hause kommen«, sagte sie, nachdem sie es gelesen hatte, »er meint, man wisse nicht, wie lange noch Personenzüge fahren.« Sie sah sorgenvoll und bekümmert aus, was alle betroffen machte, denn Belle war sonst fast immer strahlender Laune. Ferdinand geriet wieder außer sich. »Ja, geh nur, geh!« rief er. »Geh nur nach Petersburg, wo du dich offensichtlich zu Hause fühlst! Geh zu deinem Mann und freu dich darauf, daß er demnächst auf deutsche Soldaten schießen wird!«
Belle ging zur Tür. »Ich denke auch daran, daß reichsdeutsche Soldaten auf ihn schießen werden«, sagte sie, »und beides finde ich äußerst unerfreulich.«
»Ich werde ebenfalls abreisen«, verkündete Elsa, »ich muß
natürlich in Berlin sein, wenn Johannes heiratet. Und ich...« Sie brach ab, doch jeder
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