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Sturmzeit

Sturmzeit

Titel: Sturmzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Link Charlotte
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wußte, was sie hatte sagen wollen. Es hätte ihr das Herz gebrochen, ihn nicht mehr zu sehen, ehe der Krieg ausbrach. Christian und Jorias beschlossen nach kurzem Überlegen, sich anzuschließen. Sie hatten die Worte ihres Hauptmannes noch im Gedächtnis, und es schien ihnen, als herrsche jetzt die akute Kriegsgefahr, von der er gesprochen hatte.
    Elsa bestritt natürlich, daß irgend etwas akut sei. »Ihr bleibthier und genießt eure Ferien«, sagte sie, »in einem Krieg haben Kinder sowieso nichts zu suchen!«
    Die beiden sahen sie empört an. »Mutter, das ist nicht dein Ernst!« rief Christian. »Wir müssen...«
    »Jeder hat an seine Pflicht zu denken«, knurrte Ferdinand,
    »die Soldaten gehören in ihre Kasernen, ganz gleich, wie alt sie sind. So, da gibt es nichts mehr zu reden!«
    »Und wer denkt an mich?« fragte Felicia. »Wer denkt an mich, wenn ihr alle abreist?«
    »Du kommst natürlich mit.«
    »Nein. Ich will nicht mit. Ich will bis zum Herbst hierbleiben. Berlin im Sommer ist heiß und stickig!«
    »Du weißt ja nicht, was du redest«, mischte sich Leo ein, der heute wieder seinen lila Hut schräg auf dem Kopf trug und überhaupt nicht hierher zu passen schien, »du kennst die Sommernächte von Berlin nicht! Geh nur erst in tiefer, warmer Nacht Arm in Arm mit einem Mann unter den Linden entlang, atme den süßen Duft des Lebens und der Liebe, und...«
    »Leo, ich lege nicht den geringsten Wert darauf, daß Felicia nachts mit einem Mann durch Berlin strolcht«, unterbrach ihn Elsa, »dann soll sie lieber hierbleiben. Aber merk dir eines, Felicia: Sowie sich die Lage zuspitzt, kommst du auf der Stelle nach Hause. Ich habe keine Lust, jedes meiner Kinder an einem anderen Ort zu wissen, wenn hier plötzlich die Hölle los ist!«

    So war es auf Lulinn plötzlich still geworden; nur wenige Spuren noch zeugten von der Fröhlichkeit der letzten Wochen. Christians und Jorias' Fischernetz lehnte einsam in einer Ecke, ein paar grellrote Schuhe von Tante Belle lagen im oberen Flur herum und brachten Jadzia zum Stolpern. Felicia fand eine Seidenfliege, die Leo gehörte, lilagrün gestreift und allzu auffallend. Leo, der sich auf dem Land immer langweilte, warebenfalls abgereist; Felicia hatte ihn zum Bahnhof nach Insterburg gebracht und ihm nachgewinkt. Er hatte sich zum Fenster seines Abteils hinausgelehnt, sein Taschentuch geschwenkt und die rote Rose gelöst, die an seinem Revers befestigt war. In hohem Bogen warf er sie Felicia zu Füßen.
    »Auf Wiedersehen!« rief er. »Auf Wiedersehen, liebste Felicia, vergiß deinen alten Onkel nicht!« Die Lokomotive pfiff schrill. Felicia hob die Rose aus dem Staub auf und verließ langsam den Bahnhof.
    Von den jungen Leuten war nur Modeste auf Lulinn zurückgeblieben. Sie war so dickfellig und stumpf wie ihre Mutter Gertrud, hatte ewig fettige Haare und einen schlechten Teint. Sie kicherte viel und bildete sich ein, jeder Knecht auf Lulinn habe es auf sie abgesehen. »Wie sie mich mit ihren Blicken verfolgen«, flüsterte sie Felicia zu, »richtig peinlich, nicht? Soll ich dir ein Geheimnis anvertrauen?«
    Felicia blickte sie mürrisch an. »Nein«, sagte sie, was Modeste nicht im mindesten abschreckte. »Einer von den Stallburschen hat mich neulich abends geküßt!« Sie kicherte.
    »Aufregend, nicht? Hat dich schon mal ein Mann geküßt?« Die Frage kam etwas ängstlich, denn Modeste hoffte, hier einen Vorsprung zu haben. Sie fürchtete immer, neben ihrer Berliner Cousine als Landpomeranze zu wirken. Felicia dachte an den Juniabend im Wald, an Maksims leise Stimme. »Ich mach dich nicht unglücklich. Und mich schon gar nicht!«
    Sie stand abrupt auf, würdigte Modeste keines Blickes mehr und ging davon.
    Als einziger war ihr Benjamin Lavergne von Skollna geblieben. Dessen Bruder war vorzeitig in seine Kaserne zurückgekehrt, und Benjamin rang mit sich, ob er sich überhaupt noch für das nächste Semester einschreiben sollte. »Wenn es Krieg gibt, kann ich doch nicht in Heidelberg im Hörsaal sitzen!« sagte er zornig. »Nicht wenn alle anderen kämpfen!« Er warf sich auf den Rücken und starrte in den blauenSommerhimmel. Er und Felicia hatten einen Ausflug zum See gemacht und dort Federball gespielt. Nun lagen sie müde im Gras. Felicia hatte Schuhe und Strümpfe ausgezogen, ihren Hut an einen Ast gehängt. Gelangweilt zerrieb sie eine Kamillenblüte zwischen den Fingern. »Jetzt fang nicht schon wieder damit an«, sagte sie, »es ist ja noch gar nicht raus, ob

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