Styling deluxe / Roman
ein Junge, aber doch ein richtiger Mädchenschnitt«, erklärte sie.
Und, ja, es handelte sich um einen sehr flaumigen, femininen Schnitt, und Ben war eifrig mit Haarwachs zugange und zupfte Strähnchen an Nacken und Hals zu kleinen Löckchen.
»Du musst dich umziehen«, drängte Annie, »musst allen den Gesamt-Look präsentieren!« Sie drückte Tina die Topshop-Tüten in die Hände und geleitete sie zum Waschraum des Salons.
Als Tina in ihren High Heels, der engen Hose und der Korsage wieder zum Vorschein kam, applaudierte die kleine Schar der Friseure und Friseurinnen.
»Unglaublich!«, entfuhr es Ben unter dem Jubel und den Pfiffen ihrer neuen Bewunderer.
Annie hatte sich nur ein einziges Mal nach einer Modenschau hinter der Bühne aufgehalten, und genauso wie damals fühlte sie sich jetzt im Salon Taylor. Als wäre gerade in Teamarbeit etwas erstaunlich Kreatives und Erfolgreiches zustande gekommen. Vielleicht gestatteten sie alle sich für einen Augenblick die Illusion, dass ein Star geboren war.
Vielleicht würde Tina ja nur in ihrem eigenen kleinen Kreis glänzen, aber urplötzlich hatte sie eindeutig das Zeug zum Star.
Schüchtern ging Tina auf Annie zu.
»Schultern zurück«, erinnerte Annie sie, »Kopf hoch, zeig, was du hast!«
Selbst Annie konnte kaum glauben, dasselbe Mädchen vor sich zu haben. Die schüchterne, unabhängige Person in Schlabberkleidung, die sie an diesem Morgen kennengelernt, die vergessen hatte, wie man sich hübsch zurechtmacht, die seit Jahren nicht ausgegangen war – geschweige denn ein Coming-out erwogen hätte …
Sie offenbarte sich jetzt. Die Hüllen und die Haare waren gefallen, und die neue Tina kam aus ihrem Kokon zum Vorschein.
Tina streckte ihre Arme aus und zog Annie an sich.
Annie erwiderte innig die Umarmung. »Weiter so, Mädel!«, ermutigte sie Tina. »Zeig’s ihnen! Hau sie vom Sockel, du Weiberheldin!«
Das zog einen Aufschrei nervöser Begeisterung nach sich.
Bob filmte Tina eifrig aus jeder möglichen Perspektive. Endlich war er der Meinung, genug getan zu haben und dass es Zeit wäre einzupacken, Tina nach Hause zu bringen und das Filmmaterial bei Finn abzuliefern. Eben gerade war eine SMS vom Produzenten/Direktor eingetroffen, der wissen wollte, um welche Zeit Bob denn wohl im Hotel sein könnte.
»Ich bin nervös«, gestand Bob Annie, als sie sich wieder im Kombi anschnallten, um zum Hotel zu fahren.
»Sei nicht albern!«, beruhigte sie ihn. »Überleg doch mal, wie die Leute auf Tina reagiert haben – selbst ihre Mum!«
»Ja, aber so steht es nicht im Drehbuch, Annie«, entgegnete Bob sorgenschwer. »Und so was ist gefährlich.«
[home]
18.
Annie entspannt:
Ungewickeltes Wickelkleid (Diane von Fürstenberg, über eBay)
Halterlose Strümpfe auf dem Boden (Pretty Polly)
Ungeschminkte Augen (Quickies Augen-Make-up-Entferner-Pads)
Unfrisiertes Haar (Eigentum des Models)
Geschätzte Gesamtkosten: 360 £
»Voll geschlaucht, Schätzchen.«
A nnies Zimmer im Novotel in Birmingham war, gelinde gesagt, beengt. Allein schon durch das Öffnen ihrer Tasche und das Auspacken ihres Make-ups schien eine Riesenunordnung zu entstehen.
Urplötzlich völlig ausgelaugt von dem arbeitsreichen Tag, der hinter ihr lag, schob Annie ihr Handy auf, legte sich rücklings aufs Bett und rief zu Hause an.
»Hey, du«, begrüßte Ed sie zärtlich am anderen Ende der Leitung, »du hast wohl einen langen Tag gehabt.«
»Ja«, bestätigte sie und lauschte angestrengt. Über seine Stimme hinweg hörte sie all das vertraute Klappern und Plappern im Hintergrund und wäre auf einmal viel lieber zu Hause gewesen als in dieser fremden kleinen Schachtel in Braun und Beige im Herzen einer fremden Stadt.
»Du hörst dich müde an«, stellte Ed fest, nachdem sie ihm eine Kurzfassung der Höhepunkte ihres Tages geliefert hatte.
»Voll geschlaucht, Schätzchen«, erwiderte sie, bemüht, ein Gähnen zu unterdrücken. »Und was treibt ihr so?«
»Wir haben viel zu tun«, beteuerte Ed. »Wir haben zu Abend gegessen, aufgeräumt, und jetzt wollen wir die Schränke ausmisten.«
»Hä? Das passt gar nicht zu dir.«
»Tja, Owen hat uns alle zu einer Entrümpelungsaktion zugunsten der Benefizveranstaltung abgestellt. Unser altes Gerümpel wird aufgestöbert, zusammengetragen und von unserem engagierten Aktivisten zum Verkauf in die Schule geschafft.«
»Höchst eindrucksvoll«, musste Annie zugeben, »aber wenn irgendjemand meinen Sachen zu nahe kommt, hacke ich ihm
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