Styling deluxe / Roman
luxuriösen Haute-Couture-Kaufhaus in Knightsbridge in London, das sie all diese Jahre lang glücklich ihren Arbeitsplatz genannt hatte. Nun ja, okay, sie hatte es schon einmal verlassen, doch der Grund war eine ungerechtfertigte Entlassung gewesen und sie innerhalb von Monaten zurückgekehrt.
Jetzt ging sie
wirklich.
Dies war ein Abgang in Glanz und Gloria. Endgültig. Für immer.
Sie ließ den Blick durch die mit dickem Teppich ausgelegte Suite mit ihren pinkfarbenen Samtvorhängen und leuchtend pinkfarbenen Sofas schweifen. Nie mehr würde sie sich hier mit ihren Kundinnen, alten wie neuen, aufhalten. Nie mehr kritisch mit ihnen in diese mannshohen Spiegel schauen, nie mehr die Ständer voller wunderbarer, herrlicher Kleider durchwühlen, die aus den glitzerweißen verglasten Etagen voll umwerfender Mode heraufgebracht worden waren.
Annie zweifelte nicht daran, dass sie die Kleider fast so sehr vermissen würde wie die Menschen hier. Ganz zu schweigen von ihrem Personalrabatt, der ihr bei der Zusammenstellung ihrer lebhaft bunten und äußerst vielseitigen Garderobe geholfen hatte. Von Prada bis Primark, von Alexander McQueen bis Zara: Ihre Garderobe (die mittlerweile
drei
Schränke plus all die Kisten und Taschen im Gästezimmer füllte) deckte das gesamte Spektrum ab.
In einer Ecke der Suite befand sich die kleine Zelle, die ihr die ganze Zeit über als Büro gedient hatte. Annie hatte ihren Laptop bereits ausgestöpselt und in seiner Tasche verstaut. Sie hatte die Familienfotos von den Wänden genommen, eine riesige Sammlung von Modemagazinen im Papiercontainer entsorgt und das gesamte Sammelsurium ihrer Habseligkeiten aus ihren Schreibtischschubladen eingepackt: verlorene Knöpfe, Strümpfe mit Laufmaschen, Nadeln, Kugelschreiber, Namensschildchen, Polaroidfotos von Kundinnen, Dankesbriefe von entzückten Klientinnen.
Es hatte sie fast eine Stunde und jede Menge stiller Tränen gekostet, das alles zu erledigen. Jetzt, um Punkt neun Uhr abends, schloss
The Store
seine Türen zur Nacht, und die Belegschaft sowie Annies Familie und Freunde kamen in die Suite hinauf, um auf ihr Wohl zu trinken und ihr alles Gute zu wünschen.
»Geht’s dir gut, Schätzchen?«, rief Paula, ihre schöne, schlanke schwarze Exassistentin in spe, als sie auf schwindelerregenden Absätzen mit einer riesigen Platte voll Canapés in die Suite eilte.
»Ja, ganz bestimmt!«, versuchte Annie fröhlich zurückzuzwitschern, doch es klang nicht ganz überzeugend.
Paula stellte die Canapés ab, stürzte sich auf Annie und schloss sie in die Arme.
»Ich bin am Boden zerstört, weil du gehst«, gab Paula zu. »Es würde mich kränken, wenn du nicht traurig wärst, meine Liebe, aber für dich ist es
so
toll! Du kommst ins Fernsehen. Du wirst ein Star! Von nun an ist der Annie-Valentine-Stil nicht nur den Damen vorbehalten, die sich das Shoppen hier leisten können. Jetzt ist er etwas für alle!«
Na ja, für alle, die den Sender Home Sweet Home sehen, von dem ich übrigens bis gestern nie gehört hatte,
dachte Annie.
Mit einem wachsenden Kloß im Hals sagte sie zu Paula: »Das ist lieb von dir, Schätzchen, richtig lieb«, und drückte sie fest an sich.
»Lass dich anschauen!«, verlangte Paula und trat einen Schritt zurück, um ihre frühere Mentorin zu begutachten.
Annie hatte ihr Haar zu dem für sie typischen hohen Pferdeschwanz zusammengefasst. Ihr leicht gebräuntes Gesicht mit den braunen Augen, feinen Zügen und dem gewinnenden Lächeln wirkte lebhaft und heiter. Paula glaubte, dies wäre allein auf Annies Sitzung mit dem hochbegabten Mädchen unten in der Kosmetikabteilung am Bobbi-Brown-Tresen zurückzuführen. Von dem Botox wusste sie nichts.
»Du siehst hinreißend aus!«, beglückwünschte Paula sie eilig. »Westwood zeigt, was du hast. Heiß!«
Das rote Kleid, das Annies vollbusige Figur an den genau richtigen Stellen betonte oder kaschierte, war nicht neu. Es handelte sich um ein erprobtes und bewährtes Lieblingsstück, auf das sie sich immer verlassen konnte.
Wie sie ihren Kundinnen einzuschärfen pflegte: »Große, nervenaufreibende Ereignisse sind nicht der richtige Zeitpunkt, um ein neues Outfit auszuprobieren. Man fühlt sich sicherer, wenn man etwas schon Vertrautes, Zuverlässiges trägt. Warum sonst sind Bräute immer so unsicher?«
»God Save the Queen!«, zitierte Annie scherzhaft ihren und Paulas Code für Westwood. (»God Save the Queens« bedeutete Dolce und Gabbana.)
»Lang lebe die Königin!«, gab
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