STYX - Fluss der Toten (German Edition)
zu halten. Auch ich habe einst um meine Liebe kämpfen müssen. Nur, wieso kannst du behaupten, die eure sei besonders groß, größer als die anderer Menschen?«
»Erstens, hätte ich sonst diese Strapazen und Leiden und Gefahren auf mich genommen? Zweitens, wie viele Frauen würden ihrem kranken Mann eine Niere spenden?«
»Und das hat die deine gemacht?«
»Das hat sie gemacht, jawohl. Und drittens ... Aber das ist zu privat. Das kann ich nicht erzählen.«
»Du wirst es aber erzählen müssen, und wenn es noch so privat ist. Wenn nicht ...«
»Na schön. So glücklich hat sie mich gemacht, dass ... Wissen Sie, als berühmter Sänger wird man von den Frauen umschwärmt wie ..., na, sagen wir, wie ein Lebender im Hades von den neidischen Seelen, die das Wasser des Vergessens noch nicht getrunken haben. Und so hatte ich, bevor ich Donna kennen und lieben lernte, gar viele Frauen. Aber seither nie wieder. Ist das Beweis genug?«
»Hm. Ich bin beeindruckt. Nur, wie lange habt ihr euch gekannt?«
»Über zehn Jahre. Nein, wir waren nicht bloß frisch verliebt, falls Sie das meinen.«
Langes Schweigen.
»Also gut«, so schließlich Pluton mit überraschend sanfter Stimme. »Wer ist denn die Dame?«
»Donna Jackson. Gestorben in Paris vor ... Ja, heute sind es genau zwei Wochen her, dass sie ein Autofahrer, ein Raser ...« Die aufsteigenden Tränen verschleiern seine Augen, lähmen seine Zunge, verschließen ihm den Mund.
Langes Schweigen.
Pluton hebt die Hand und macht eine eigenartige Geste. Hinter Luciano werden leise Piepstöne und ebenso leise Schritte hörbar. Erschrocken wendet er sich um und sieht mehrere Gestalten, die er bisher glatt übersehen hat, davoneilen; an das trübe Dämmerlicht haben sich seine Augen offenbar inzwischen gewöhnt. Sein Schrecken ist indes rasch überwunden, besiegt von der freudigen Erwartung, vielleicht bald seine geliebte Donna in die Arme schließen zu können. Zum Engel gewandt, sagt er im Flüsterton: »Gehen die sie jetzt holen?« Dieser nickt und schenkt ihm eine aufmunternde Grimasse.
Während ihn Luciano noch freudig und dankbar anstrahlt, ertönt aufs Neue Plutons Geisterstimme.
»Höre, o Sterblicher. In Kürze wird die von dir begehrte Seele vor dir stehen. Durch deine Worte überzeugt, von deinem göttlichen Gesang bezaubert und durch Uriels Bitten erweicht, werde ich ihr befehlen, mit dir ins Leben zurückzukehren. Aber vergiss nicht: Solange sie im Reich der Toten weilt, wirst du nur ihre Seelenform sehen. Darum darfst du sie weder ansprechen noch berühren, bis die Grenze zur Oberwelt erreicht ist.«
Und Uriel: »Das heißt, die Stelle, wo mein Flammenschwert steht.«
Und Pluton: »Dort erst wird sie ihren irdischen Körper zurückerhalten.«
Und Uriel: »Unversehrt und schöner als je zuvor.«
Und Luciano, von Rührung überwältigt: »Oh, danke. Nur, was würde denn geschehen ...«
Und Pluton: »Wenn du sie ansprichst oder berührst? Wahrlich, sie wäre für dich für immer verloren.«
Und Uriel: »Ich habe dir ja erzählt, dass die Verstorbenen hier in vollkommener Zufriedenheit leben. Sie haben keinerlei Sehnsucht nach dem Leben auf der Oberwelt.«
Und Luciano: »Soll das heißen, meine Frau wird nur ungern ...«
Und Uriel: »Du sagst es. Nur auf Plutons Befehl.«
Darauf weiß Luciano nichts zu erwidern, weiß nicht einmal, was er denken soll. Und wieder wird die momentane Verwirrung rasch von freudiger Erwartung besiegt.
8
Luciano wendet sich um. Steht seine Donna vielleicht schon hinter ihm? Nein, das nicht. Doch während er noch Ausschau hält, sieht er, wie mehrere Personen die Plattform des Ciboriums betreten.
Bringen sie seine Donna mit? He, ist Donna unter ihnen? Wie soll man nur diese Glasgestalten auseinanderhalten? Luciano muss sich zwingen, ihnen nicht entgegenzulaufen. Seine Hände zittern, sein Herz hämmert im Rhythmus eines Höllentanzes.
Noch einmal: Ist Donna unter ihnen? Ja oder nein? Ja! Ja! Ja! Sie ist hier. Hier ist sie. Vor ihm steht sie, seine einzige, heißgeliebte, heißersehnte Donna. Sie steht vor ihm und blickt ihn an und verzieht keine Miene und spricht kein Wort und lässt keinerlei Gemütsbewegung erkennen. Schön wie eh und je, steht sie vor ihm und blickt ihm gleichmütig in die Augen, als säßen sie gemeinsam am Frühstückstisch, und er liest ihr aus der Zeitung vor, und sie hört ihm gelangweilt oder auch nur schlaftrunken zu. Eine gläserne Statue, so steht sie vor ihm. Von den widersprüchlichsten
Weitere Kostenlose Bücher