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STYX - Fluss der Toten (German Edition)

STYX - Fluss der Toten (German Edition)

Titel: STYX - Fluss der Toten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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besänftigende Laute von sich und schiebt sich zwischen die Bestien und Luciano; und siehe da, ihr Gebell verstummt, sie fletschen nur noch knurrend die Zähne. Luciano ermannt sich, rappelt sich auf und erstarrt erneut vor Überraschung, vor Entsetzen: Was er für ein Rudel blutdürstiger Bestien hielt, ist in Wirklichkeit ein einziger Köter, freilich von der Größe eines ausgewachsenen Ponys und, Schrecken über Schrecken, ausgestattet mit drei Hälsen und drei Köpfen und ebenso vielen zähnestarrenden, betäubenden Gestank ausstoßenden Mäulern.
    »Das ist Cerberus«, sagt der Engel leichthin, als wolle er sich als Fremdenführer betätigen. »Den ankommenden Seelen tut er nichts. Er hindert sie nur daran, zurückzuschwimmen. Aber du bist ja keine Seele eines Verstorbenen, und darum ist er so außer sich. Doch jetzt komm. Wir wollen weiter.«
6
    Weiter? Wie soll sich Luciano, derart geschwächt, das Gewand tropfnass, die Schuhe voller Wasser, fortbewegen? Ohne die Aufforderung des Todesengels zu beachten, setzt er sich wortlos auf den Boden und versucht wenigstens die Schuhe, so gut es geht, vom Wasser zu befreien. Erst danach ist er bereit, weiterzumarschieren, genauer, weiterzuspurten. Denn der Todesengel hat natürlich nicht warten können. Er ist schon weit voraus. Schwer atmend holt ihn Luciano ein und sinkt im nächsten Augenblick wie ein gefällter Baum ohnmächtig zu Boden. Zwar kommt er bald wieder zu sich, setzt sich auf, bleibt aber sitzen und fleht den Engel an, ein kleines Weilchen zu warten. Dieser macht ein unwilliges Gesicht. Aber er wartet.
    Jetzt erst wird Luciano klar, dass seine Erinnerungen durch das ekelhafte Wasser nicht gelöscht sind, dass er also nichts davon geschluckt haben dürfte. Na, Gott sei Dank!
    Zugleich wird ihm klar, was seinen Schwächeanfall verursacht haben könnte (abgesehen von der Übelkeit und ihren Folgen). Die Luft glüht ja förmlich wie in einer Wüste, wohlgemerkt, bei Sonnenschein, abgesehen davon, dass hier keine Sonne scheint, und man kommt sich vor, wie in einem Zelt mitten in der Wüste: Vor der Sonne ist man zwar geschützt, aber weil sie ja trotzdem indirekt durchscheint, glaubt man in der unbewegten heißen Luft zu ersticken. Und auch hier bewegt sich kein Lüftchen. Wie in einer Wüste? Ja, Luciano sitzt nicht in feuchtem Gras, nicht auf weichem Moos, nicht auf den Wurzeln eines schattenspendenden Baumes, sondern auf nackten Steinen, und es sieht hier wirklich aus wie in einer Wüste, aber keiner Sandwüste mit hoch aufragenden, an verschneite Berghänge erinnernden Dünen, keiner Felswüste mit bizarren Gebirgsformationen, sondern einer öden, toten, gestaltlosen Kieswüste.
    Nun gut. Der Schwächeanfall dürfte einigermaßen überwunden sein. Nicht ohne Mühe erhebt sich Luciano, nickt dem Engel schweigend zu. Und das soll heißen: Weiter geht's. Doch nach nur wenigen Schritten macht Luciano wieder halt, lauscht, bittet ihn, einen Augenblick zu warten. Und nein, kein unheimliches Wispern mehr, keine gespenstischen Berührungen im Gesicht oder an den Händen.
    »Gibt's hier, hinter dem Verhassten Fluss, keine Verstorbenen?«, so Luciano verwundert.
    »O doch. Du siehst sie nur nicht.«
    »Klar. Aber ich höre sie ja auch nicht.«
    »Kein Wunder. Sie schweigen ja. Die am anderen Ufer hast du nur gehört, weil sie sich über dein Auftauchen so aufgeregt haben.«
    »Und die hier regen sich nicht auf?«
    »Nein. Sie beachten uns nicht einmal, haben ja auch keinen Grund dazu. Ihre Erinnerung an ein früheres Leben ist gelöscht. Und damit ist auch aller Neid auf die noch Lebenden gelöscht. Außerdem sind sie alle abgelenkt.«
    »Abgelenkt? Wodurch?«
    »Du wirst lachen: durch Fernsehen.«
    »Fernsehen? Sie meinen, TV?«
    »Sehr richtig. Wir gehen ja auch hier im Hades mit der Zeit.«
    »Aha. Und wo ...«
    »Du siehst sie wahrscheinlich genauso wenig wie die Seelengestalten. Aber überall im Umkreis stehen riesige Bildschirme.«
    »Und davor sitzen Zuschauer?«
    »Du sagst es. Tausende vor jedem.«
    »Ah, meine Frau auch?«
    »Na, selbstverständlich. Alle Verstorbenen sitzen heutzutage vor dem Fernseher.«
    »Aber doch nicht ständig?«
    »Doch. Ständig. Sie haben ja sonst nichts zu tun.«
    »Nein? Aber sie werden doch hin und wieder zum Beispiel miteinander plaudern wollen. Oder nicht?«
    »Nein, eben nicht. Dafür gibt es aber auch keinen Streit oder sonstigen Verdruss. Sie kennen ja auch keinen Schmerz, keinen Kummer, keine Sorgen, auch nicht um ihre

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