Succubus Dreams
fast zu spät gewesen war. Trotz unterschiedlicher Ansichten hätten wir zusammen bleiben sollen. Wir hätten miteinander reden und versuchen sollen, einen Kompromiss zu finden.
Dieser Streit sollte nicht weiterhin Missverständnisse und Verwirrung zwischen Seth und mir stiften. Er sollte nicht etwas von der Zeit stehlen, die wir miteinander verbringen konnten. Ich musste alles wieder in Ordnung bringen. Entschlossen ergriff ich Mantel und Handtasche und eilte ihm nach.
Halb ging, halb rannte ich zur Buchhandlung, wo er seinen Wagen stehen gelassen hatte, aber er war weg. Ich hatte ihn verfehlt. Ich starrte den leeren Stellplatz ein paar Augenblicke lang an und ging dann ins Geschäft, denn ich hatte schließlich Carters blödes Wichtelgeschenk besorgt und im Büro vergessen. Aber als ich es in meine Handtasche stopfte, entdeckte ich, dass mir die Willenskraft fehlte, wieder hinauszugehen. Stattdessen sank ich in meinen Schreibtischsessel und begrub das Gesicht in den Händen. Wie war alles zwischen Seth und mir so in Unordnung geraten? Hatte er der Schussverletzung wirklich eine derart neue Sichtweise aufs Leben zu verdanken? Wäre das sowieso alles passiert?
Auf einmal erfüllte Yasmines Signatur den Raum. Ich blickte auf und bekam gerade noch mit, wie sie und Vincent sich vor mir materialisierten. Sogleich war Seth völlig vergessen.
«Hallo, Georgina», sagte Vincent. «Ich habe deine Nach…»
«Ich weiß von Nyx», platzte ich heraus.
Erstauntes Schweigen lag in der Luft. Beim Nephilim war ich mir nicht so ganz sicher, aber Engel ließen sich eigentlich selten überraschen. Yasmine war eindeutig überrascht.
Und als Engel versuchte sie auch nicht, Nyx zu leugnen. Sie fragte bloß: «Woher?»
«Weil sie mich für ihre schmutzige Arbeit benutzt.» Ihr Erstaunen wuchs. «Nur… ich weiß nicht genau, wie sie es anstellt.»
Beide warfen einander einen Blick zu, dann wieder mir. «Fang von vorn an!», forderte mich Yasmine auf. «So geht es normalerweise am besten.»
Ich tat es. Zunächst berichtete ich ihnen von den Träumen und dem Energieverlust. Danach ging es weiter zu meiner merkwürdigen Kenntnis tragischer Ereignisse und den verbliebenen Gefühlen von Nyx’ Aktivitäten. Schließlich erklärte ich, dass Erik und Dante alles zusammengesetzt und miteinander verknüpft hatten, was mir bei diesen unglücklichen neuen Geschichten zugestoßen war.
Yasmine ließ sich auf einem Klappstuhl nieder und legte nachdenklich den Kopf in den Nacken. So ähnlich hatte Vincent sich im Krankenhaus verhalten, während er gegrübelt hatte. Ich fragte mich, ob das eine dieser Gesten war, die Paare manchmal unbewusst vom anderen übernahmen. «Hmm… glänzend. Deswegen haben wir sie nicht finden können.»
«Ich hätte nicht mal im Traum daran gedacht», stimmte Vincent zu, der im Raum auf und ab ging. «Was natürlich Sinn der Sache ist.»
«Dann weißt du, was sie mit mir anstellt?», fragte ich eifrig. Die Ungewissheit brachte mich noch um.
«Ju», erwiderte Yasmine. «Aber holen wir erst die anderen!»
«Die anderen…»
Die Worte erstarben mir auf den Lippen, als sich drei Gestalten im Raum materialisierten: Carter, Joel und Whitney. Englische Aura legte sich knisternd um mich. Ich konnte nichts gegen ein kleines Neidgefühl tun. Ich benötige Tage, um höhere Unsterbliche aufzustöbern, aber Yasmine gelang das mit einem Gedanken.
Carter lächelte bei meinem Anblick. Joel erschien entrüstet. Whitney wirkte verwirrt.
«Was ist los?», wollte Joel wissen. Er wirkte ebenso wütend wie beim letzten Mal, als ich ihn gesehen hatte. Gut, dass er unsterblich war, denn ansonsten hätte ihn schon vor etlichen Äonen der hohe Blutdruck umgebracht. «Warum hast du uns an diesen… diesen… Ort gebracht?» Man hätte glauben können, dass er in einer Opiumhöhle samt Bordell stünde und nicht in einem winzigen Büroraum mit schlecht gestrichenen Wänden.
Yasmine beugte sich auf dem Stuhl vor, die Hände unter dem Kinn verschränkt und die Ellbogen auf die Knie gesetzt. Ihre dunklen Augen funkelten erregt. «Wir haben sie. Wir haben sie gefunden – oder vielmehr, Georgina hat sie gefunden.»
Joel und Whitney waren völlig entgeistert. Carter nicht. Dem Ausdruck auf seinem Gesicht nach zu schließen, hatte er es wohl erwartet.
«Ich kann’s kaum glauben, dass ihr so lange gebraucht habt», witzelte er.
Whitney war mitnichten erheitert. «Erklärt mir das!»
Yasmine tat es, und hinterher waren die anderen ebenso
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